Michael Brellochs und Dirk Verse

Mindestannahme-Schwellen werden zum Problem

Mit dem Hineingrätschen von Hedgefonds und der Verbreitung von Indexfonds wird es in Übernahmen schwieriger, Mindestannahmeschwellen zu erreichen. Aktienrechtler plädieren für Anpassungen im Gesetz.

Mindestannahme-Schwellen werden zum Problem

Sabine Wadewitz

Herr Dr. Brellochs, Herr Prof. Verse, früher waren Mindestannahmeschwellen von 75% in Übernahmeofferten üblich, heute fällt es Erwerbern schwer, 50% zu überschreiten. Was ist passiert?

Brellochs: Indexfonds halten immer größere Teile der Aktien. Bei einem Übernahmeangebot liefern sie ihre Aktien erst ein, wenn der Erfolg des Angebots sicher ist, das heißt, wenn der Bieter die Mindestannahmeschwelle erreicht hat. Gleichzeitig kaufen sich Hedgefonds in die Zielgesellschaft ein, nachdem ein Bieter seine Übernahmeabsicht veröffentlicht hat. Sie liefern diese Aktien aber nicht in das Angebot ein, sondern spekulieren auf mehr. Damit ist der Kreis der Aktionäre, der für einen Bieter erreichbar ist, erheblich kleiner geworden.

Sie nennen Hedgefonds als eine Ursache. Welchen Motiven folgen diese Adressen?

Verse: Sie spekulieren darauf, dass der Bieter entweder sein Angebot erhöht oder dass sie bei einem der Übernahme nachfolgenden Beherrschungsvertrag oder Squeeze-out eine höhere Abfindung erhalten. Die Abfindung bei Beherrschungsvertrag und Squeeze-out richtet sich nicht nur nach dem Börsenkurs der Zielgesellschaft, sondern auch nach ihrem inneren Wert. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den übernahmerechtlichen Preisregeln, der zur Folge haben kann, dass die Abfindung höher ausfällt als der Übernahmeangebotspreis. Daher liefern manche Hedgefonds nur so viele Aktien in ein Übernahmeangebot ein, wie notwendig ist, um dem Angebot zum Erfolg zu verhelfen, halten den Rest aber zurück. Wenn sich die Hedgefonds verschätzen, kann das ganze Angebot scheitern, so wie zunächst bei Vonovia/Deutsche Wohnen.

Wo hapert es bei Indexfonds?

Brellochs: Indexfonds können aufgrund ihrer Ausrichtung, einen Index möglichst exakt nachzubilden, die Aktien der Zielgesellschaft in der Regel erst in ein Übernahmeangebot einliefern, wenn der Erfolg des Angebots sicher ist. Erst dann wird nämlich die Aktie der Zielgesellschaft aus dem Index herausgenommen. Damit können Indexfonds einem Angebot nicht zum Erfolg verhelfen. Aus Sicht des Bieters bedeutet das letztlich, dass man Indexfonds bei der Mindestannahmeschwelle gedanklich herausrechnen muss.

Engt das die Bieter zu sehr ein?

Verse: Das geltende Recht erlaubt es dem Bieter, bis zu einem Tag vor Ablauf der Annahmefrist auf die Mindestannahmeschwelle zu verzichten. In diesem Zeitpunkt kennt der Bieter die Annahmequote häufig aber noch nicht, weil viele Investoren ihre Aktien erst am letzten Tag einliefern. Der Bieter muss bei seiner Entscheidung über einen Verzicht also eine Prognose abgeben, wie die Annahmequote sein wird. Dabei kann er sich verschätzen, mit der Folge, dass das Angebot – unter Umständen nur hauchdünn – scheitert. Ein zweites Angebot ist dann erst nach Ablauf eines Jahres zulässig, sofern nicht die BaFin und die Zielgesellschaft zustimmen. Dass das Angebotsverfahren wiederholt werden muss, ist nicht nur für den Bieter, sondern auch für die Zielgesellschaft eine massive Belastung.

Wäre eine Reform sinnvoll?

Brellochs: Die Rechtslage würde entscheidend vereinfacht, wenn man dem Bieter ermöglichen würde, auch noch innerhalb eines kurzen Zeitraums nach Ablauf der Annahmefrist – also in Kenntnis der Annahmequote – auf die Mindestannahmeschwelle zu verzichten. Entsprechende Vorschläge gibt es in der Fachliteratur schon länger.

Verse: In einer rechtsvergleichenden Studie haben wir zeigen können, dass der Bieter in vielen anderen Ländern nachträglich auf die Mindestannahmeschwelle verzichten kann. Eine solche Regelung schlagen wir auch für das deutsche Recht vor. Davon würden letztlich alle profitieren: der Bieter, die Zielgesellschaft und bei zweckmäßiger Ausgestaltung auch ihre Aktionäre.

Inwiefern bliebe der Aktionärsschutz gewahrt?

Brellochs: Nach unserem Vorschlag müsste der Bieter die nachträgliche Verzichtsmöglichkeit in der Angebotsunterlage offenlegen. Sollte ein Aktionär seine Entscheidung über die Annahme des Angebots davon abhängig machen wollen, ob der Bieter die Mindestannahmeschwelle erreicht oder darauf verzichtet, kann er abwarten, bis die Annahmefrist abgelaufen ist und feststeht, ob die Annahmequote erreicht wurde. Danach kann er innerhalb der zweiwöchigen weiteren Annahmefrist immer noch entscheiden, ob er seine Aktien andient.

Dr. Michael Brellochs ist Partner von Noerr, Prof. Dr. Dirk Verse ist Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Universität Heidelberg.

Die Fragen stellte .

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