Konferenz zur Zukunft der EU

Auf historischer Mission im Straß­burger Plenar­saal

In Straßburg haben die Bürgerforen begonnen, die das Herzstück der „Konferenz zur Zukunft der EU“ sind. Zufällig ausgewählte Menschen aus ganz Europa sollen konkrete Handlungsempfehlungen für die EU-Politik erarbeiten – ein Experiment mit unbekanntem Ausgang.

Auf historischer Mission im Straß­burger Plenar­saal

Von Andreas Heitker, Brüssel

Guy Verhofstadt legte die Messlatte gleich sehr hoch: „Sie sind dabei, Geschichte zu schreiben“, rief der liberale EU-Abgeordnete und frühere belgische Ministerpräsident am Freitag den 200 Menschen zu, die aus ganz Europa ihren Weg nach Straßburg ins Europaparlament gefunden hatten. Zum ersten Mal versucht sich die Europäische Union im Rahmen ihrer „Konferenz zur Zukunft der EU“ mit Bürgerforen. Erstmals sollen zufällig ausgewählte Menschen die Politik konkret mitbestimmen und helfen, die Weichen in Brüssel in ihrem Sinne zu stellen.

Diese Form der direkten Demokratie läuft jetzt über vier Foren, an denen insgesamt 800 Bürger teilnehmen, zunächst bis Januar. Jeder der Teilnehmer vertritt also rein rechnerisch rund 2,2 Millionen andere Menschen. Es soll sich eine repräsentative Mischung ergeben – in Bezug auf Herkunft, Geschlecht, Alter, sozioökonomischen Hintergrund und Bildungsstand. Ein Drittel der Plätze in jedem Forum war allerdings für die Gruppe der 16- bis 25-Jährigen reserviert.

Das erste Forum, das am Freitag zu einer dreitägigen Session nach Straßburg gereist war, soll Vorschläge für die EU-Politik in den Bereichen Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Jugend, Kultur, Sport und digitaler Wandel erarbeiten. Ein breites Feld. Die anderen Foren bekommen andere Schwerpunkte vorgegeben. Welche Prioritäten gesetzt werden, bleibt jeder Gruppe im Endeffekt selbst überlassen.

Die Regie hat allerdings ein langsames Heranrobben an die Themen vorgesehen: Der erste Tag vergeht mit einer Orientierungsphase, einem Kennenlernen der Sitznachbarn im Plenum und ersten Versuchen der Kommunikation untereinander. Der Tag klingt dann aus mit der Suche nach Antworten auf die Fragen: „Was ist für mein Leben wichtig?“,„Was bedeutet die EU für mich?“ und „Welche Vision habe ich für die EU im Jahr 2050?“ – Das wirkt eher wie die Erlebnispädagogik-Klassenfahrt und weniger wie eine historische internationale Mission. Aber das Forum hat ja gerade erst begonnen. Es warten noch eine mehrtägige Online-Session und ein Wochenende in Dublin. Erst danach müssen die Vorschläge der Gruppe auf dem Tisch liegen, damit sie von der Plenartagung der Zukunftskonferenz, an der dann auch Vertreter der EU-Organe teilnehmen, beraten werden.

Welche der Ideen aus den Bürgerforen dann tatsächlich umgesetzt werden und ob sie vielleicht sogar zu einer Änderung der EU-Verträge führen, weiß heute noch niemand. Lange Zeit hätten die EU-Politiker Angst vor einer Bürgerbeteiligung gehabt, sagt Verhofstadt. Da ist die Konferenz, die jetzt so richtig gestartet ist, ein Experiment mit unbekanntem Ausgang.