Konjunktur

Deutsche Industrie findet nicht aus Produktionstief

Die deutsche Industrie hat auch im Juni wegen einiger Sonderfaktoren unerwartet einen Gang zurückgeschaltet. Als Konjunkturstütze fällt der Sektor wohl weiter aus, denn trotz rekordhoher Auftragsbestände kommt die Produktion nicht voran.

Deutsche Industrie findet nicht aus Produktionstief

ba Frankfurt

Die Aussichten für das deutsche verarbeitende Gewerbe trüben sich zunehmend ein: Im Juni drosselten die Industrieunternehmen die Produktion überraschend den dritten Monat in Folge, die Lieferkettenprobleme und Materialknappheiten lösen sich nicht so schnell auf wie zunächst erhofft, und angesichts der rasanten Ausbreitung der Delta-Variante mehren sich Sorgen vor erneuten Beschränkungen. Die Auftragsbestände liegen zwar auf Rekordhöhe, doch die Produktion kommt nicht in Gang – weder in der Industrie noch am Bau, auch wenn hier die Lage und die Perspektive noch etwas besser sind.

Mit Blick auf die Industrie im Euroraum, über deren Entwicklung im Juni das Statistikamt Eurostat am kommenden Donnerstag berichtet, ergibt sich damit ein gemischtes Bild. Denn die spanische Industrie hat ebenfalls einen unerwarteten Rückschlag erlitten, wohingegen die Industrie in Frankreich und Italien die Produktion wieder hochgefahren hat.

Laut vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) sank hierzulande die Gesamtfertigung von Industrie, Bau und Energieversorgern im Juni um saison- und kalenderbereinigt 1,3% zum Vormonat. Ökonomen hatten dagegen die zweite Produktionsausweitung in diesem Jahr nach März erwartet und im Schnitt ein Plus von 0,5% auf dem Zettel. Zudem revidierten die Wiesbadener Statistiker den Maiwert deutlich nach unten: Statt eines Rückgangs um 0,3% ergab sich ein Minus von 0,8%. Für den Vorjahresvergleich notiert Destatis einen Zuwachs von 5,1%. Prognostiziert waren hier +7,9%, nachdem es im Mai noch um 17,3% aufwärts gegangen war. Im Vergleich zu Februar 2020, dem letzten von der Coronakrise unbelasteten Monat, lag die Produktion im Juni 6,8% niedriger.

Ketchupflaschen-Effekt

Maßgeblich für die Entwicklung waren laut Bundeswirtschaftsministerium „Versorgungsengpässe bei Halbleitern vor allem im Automobilbereich, die auch aktuell noch Probleme bereiten“. Die Industrie im engeren Sinne drosselte die Fertigung im Juni um 0,9%. Im Baugewerbe, das 2,6% weniger als im Mai produzierte, „ging die Bremswirkung von einer Knappheit von Bauholz aus, die allerdings bald überwunden sein könnte“, erläuterte das Ministerium. Ohnehin liege der Ausstoß im Baugewerbe weiter auf hohem Niveau.

Allerdings zeichne sich in der Breite eine deutliche Besserung des Materialmangels kurzfristig nicht ab, betonte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus mache immer wieder Lockdowns in Asien notwendig, worunter die dortige Produktion, aber auch die Logistik in den Häfen leide. „Die in Europa sehnlichst herbeigesehnten Halbleiter werden weiterhin auf sich warten lassen“, sagte Gitzel. Es wird aber allgemein erwartet, dass die Produktion wieder aufschließt, wenn sich die Probleme langsam lösen – womit im Verlauf des vierten Quartals gerechnet wird. ING-Chefökonom Carsten Brzeski vergleicht das mit dem Ketchupflaschen-Effekt: Trotz Schütteln und Klopfen passiere lange nichts, dann aber laufe plötzlich so viel auf einmal heraus, dass das gesamte Essen von Ketchup überzogen ist. Und genau darauf warte die Industrie. Denn während die Auftragsbücher immer noch gut gefüllt seien, haben Firmen ihre Lagerbestände weiter abgebaut – „eine Kombination, auf die normalerweise ein starkes Produktionswachstum folgen sollte“, betonte Brzeski.

Angesichts „einer nach wie vor hohen Nachfrage“ zeigte sich auch das Wirtschaftsministerium für die Industriekonjunktur insgesamt „ verhalten optimistisch“. Am Donnerstag hatte Destatis ein Auftragsplus für Juni von 4,1% zum Vormonat be­richtet – Ökonomen hatten noch nicht einmal mit der Hälfte gerechnet (vgl. BZ vom 6. August). Für weitere Hoffnung im Ministerium sorgt, dass die Unternehmen ihre Exportaussichten weiterhin positiv einschätzen. Ihre Produktionserwartungen hat die Industrie im Juli gleichwohl etwas gesenkt. Der entsprechende Indikator des Ifo-Instituts fiel um 5 auf 22 Punkte – einen aber noch immer sehr hohen Wert im langjährigen Vergleich, wie die Münchner Wirtschaftsforscher mitteilten. „Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten machen sich nun bemerkbar“, sagt Klaus Wohlrabe, der Leiter der Ifo-Umfragen. Knapp 64% der Industriebetriebe klagen über diesbezügliche Produktionshemmnisse.

Ein ähnliches Bild wie hierzulande liefert die spanische Industrie: Laut Statistikamt Ine sank die Gesamtfertigung im Juni um 1,0%. Analysten hatten hingegen ein Plus von 0,5% erwartet. Zudem wurde die Produktion im Mai nicht wie zunächst gemeldet um 4,3%, sondern nur um 1,5% ausgeweitet, teilte Ine weiter mit. Italiens Industrie weitete im Juni wie erwartet die Fertigung um 1,0% aus, nachdem der Output im Mai noch um 1,6% zum Vormonat zurückgegangen war. Die Industrie in Frankreich stellte laut Statistikamt Insee im Juni 0,5% mehr her als im Vormonat. Ökonomen hatten damit gerechnet, nachdem die Fertigung im Mai um 0,4% gesunken war.