GastkommentarKafkaeske Züge

Deutschland muss in der Energiepolitik aufwachen

Deutschland hat sich in der Energiepolitik verzettelt, schreibt Wolfgang Steiger, im Gastkommentar. Ein Konzept sei nötig, das Marktwirtschaft und Klimaschutz verbindet sowie Wettbewerb und Technologieoffenheit.

Deutschland muss in der Energiepolitik aufwachen

Von Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU

Die deutsche Energiewende wird immer häufiger mit dem Adjektiv „kafkaesk“ umschrieben. Und in der Tat droht sich die Situation für den Wirtschaftsstandort Deutschland dieser typischen Atmosphäre des alptraumhaften, des undurchschaubaren anzunähern, die der große Schriftsteller Franz Kafka wie kein Zweiter erschaffen konnte. Eine Atmosphäre, in der der Einzelne völlig willkürlichen, mit Vorliebe bürokratischen, jedoch nur scheinbar rationalen Prozeduren ausgeliefert ist – heute würde Kafka seine Geschichte wohl „Die Wärmepumpe“ nennen.

Offensichtlich eignet sich Kafkas Parabel „Der Kübelreiter“ als Analogie. Sie beginnt mit der Beschreibung einer existenziellen Notlage und begleitet den Ich-Erzähler, der – inmitten eisiger Kälte – kein Stück Kohle mehr besitzt, um sein Zimmer zu heizen: „Verbraucht alle Kohle; leer der Kübel; sinnlos die Schaufel“. Ihm wäre eigentlich leicht zu helfen, doch der Kohlehändler hört sein Bitten nicht und dessen Frau verjagt den Bittsteller schließlich mit ihrem Schürzenband - „auf Nimmerwiedersehen“. Energiekrise, kein Gehör, Abwanderung – ein Dreiklang, der auch heute leider häufig zu beobachten ist: Wir erleben die höchsten Nettoabflüsse von Unternehmenskapital, die es in Deutschland je gab – „auf Nimmerwiedersehen“?

Sogar noch passgenauer erscheint Kafkas kaiserliche Botschaft. Diese Geschichte handelt von einer gesendeten Botschaft, die niemals den Adressaten erreichen wird. Der Bote müht sich nutzlos ab, doch es gelingt ihm nicht, aus dem Palast des Kaisers herauszufinden. Er irrt immer weiter durch die Höfe und die Gemächer – das äußere Tor erreicht er jedoch nie. Selbst das theoretische Überwinden eines Hindernisses führt lediglich dazu, dass danach unmittelbar noch eine viel größere, unüberwindbare Hürde wartet – manifestiert wird die Aussichtslosigkeit mit dem wiederkehrenden Mantra: „… und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen.“

Backup für die Stromnachfrage

Ähnlich stellt sich die Situation mittlerweile für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dar. Der Erneuerbaren Energien-Anteil soll bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 80% erhöht werden – angesichts der Erfahrungen mit bürokratischen Hindernissen sowie Personal- und Materialengpässen eine Zielsetzung irgendwo zwischen extrem ambitioniert und völlig unrealistisch. „… und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen.“ Denn es braucht ein „Backup“, das die Stromnachfrage deckt, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint.

Bis 2030 müssten nach Einschätzung der Bundesregierung 25 GW Leistung am Netz sein, um den Kohleausstieg dann realisieren zu können. Das entspricht 50 wasserstofffähigen Gaskraftwerken, die in wenigen Jahren zu bauen wären. Es gibt jedoch nur wenige Hersteller, die wasserstofffähige Gasturbinen herstellen. Keines der notwendigen Kraftwerke ist bislang bestellt, geplant, genehmigt oder gebaut und vor allem hat kein einziges bereits einen Investor gefunden. Aufgrund der voraussichtlich geringen und nicht kalkulierbaren Laufleistung, lässt sich kein seröses Geschäftsmodell abbilden, sondern es droht ein weiteres Subventionsgeschäft zu entstehen – doch das Geld dafür fehlt.

Fragwürdige Arbeitshypothesen

Noch bevor Habecks Kraftwerksstrategie vorlag, die aufzeigen soll, wie dieser Weg aussehen kann, werden bereits die nächsten Annahmen infrage gestellt. Reichen 25 Gigawatt Zubau überhaupt aus, um die Residuallast zu decken? Verschiedene Studien halten ein Vielfaches für notwendig. Ist die Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums, dass unsere Nachbarn immer dann Überschussstrom haben, wenn wir ihn brauchen, eine Arbeitsgrundlage, auf die eines der größten Industriestandorte der Welt bauen kann? Die Fragen und fragwürdigen Annahmen, die mit der Wasserstoffwirtschaft verbunden sind, stehen nochmal auf einem ganz anderen Blatt. Und selbst wenn dies alles gelingt, bedeutet die Notwendigkeit, Überkapazitäten und Doppelstrukturen zu bauen, dauerhaft hohe Energiepreise.

Energieangebot ausweiten

Deutschland hat sich in der Energiewende verzettelt: zu teuer, zu umständlich, zu ideologisch – kafkaesk. Während wir uns selbst weiterhin einreden, dass unsere Energiepolitik weltweit Vorbildcharakter besitzt, ist die deutsche Energiewende längst dabei, im Ausland zum Abschreckungsbeispiel dafür zu werden, wie sich ein einst blühender Industriestaat durch eine verfehlte Energiepolitik selbst ruiniert. Hier braucht es ein grundlegendes Umsteuern. Es muss gelingen, Marktwirtschaft und Klimaschutz zu verbinden. Wettbewerb und Technologieoffenheit sind dafür die notwendigen Leitlinien. Das Energieangebot muss ausgeweitet werden – etwa durch eine Wiederbelebung der Kernkraft und der Erschließung heimischer Gasvorkommen mittels Fracking-Verfahren. Wir brauchen Konzepte statt Kafka, Aufwachen statt Alptraum.


Über den Gastautor: Wolfgang Steiger ist seit 2009 Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU.