Italien

Draghi wendet Regierungskrise ab

Nach einem Treffen von Conte und Draghi scheint eine Regierungskrise in Italien vorerst abgewendet. Allerdings dürfte der Kompromiss für das Land noch sehr teuer werden – und auch vorgezogene Neuwahlen sind noch möglich.

Draghi wendet Regierungskrise ab

bl Mailand

Eine Regierungskrise in Italien ist vorerst abgewendet worden. 5-Sterne-Chef Giuseppe Conte sagte nach einem Treffen mit Premierminister Mario Draghi, seine Bewegung sei bereit, weiter die Regierungsverantwortung zu teilen. Conte überreichte Draghi ein Dokument mit Forderungen der 5 Sterne. Die Bewegung, die bei den Parlamentswahlen 2018 mit mehr als 32% der Stimmen die meisten Abgeordneten in den Senat und das Abgeordnetenhaus schickte, inzwischen aber durch Austritte stark geschrumpft ist, verlangt etwa die Fortführung des bedingungslosen Bürgergeldes und der extrem teueren Hilfen für die energetische Gebäudesanierung. Die Kosten allein für diese Maßnahmen belaufen sich bisher auf 33 Mrd. Euro. Außerdem laden die Modalitäten zum Betrug ein: Bisher sind Betrugsfälle im Umfang von 5 Mrd. Euro bekannt. Die 5 Sterne fordern außerdem einen Nachtragshaushalt mit mehr Hilfen für sozial schwache Haushalte und stehen Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch gegenüber.

Conte droht seit Wochen mit dem Verlassen der Regierung. Draghi muss seinem Vorgänger als Regierungschef, der innerparteilich massiv unter Druck geraten ist, nachdem Außenminister Luigi Di Maio sich mit insgesamt 60 Abgeordneten abgespalten hat, entgegenkommen. Teile der 5-Sterne-Bewegung drängen im Vorfeld der Parlamentswahlen im Frühjahr 2023 auf einen Austritt aus der Regierung, um in der Opposition Handlungsfreiheit zu gewinnen.

Auch die rechtsnationale Lega von Matteo Salvini erhebt zunehmend aggressive Forderungen. Sie verlangt eine großzügige Steueramnestie, Steuersenkungen und lehnt die von der Regierung geplante großzügigere Einbürgerungspolitik und die Liberalisierung von Cannabis ab. Außerdem verlangt Salvini Milliardenhilfen für Unternehmen und Haushalte wegen der hohen Inflation und des Ukraine-Kriegs. Die Lega steht unter massivem Druck der noch weiter rechts stehenden Partei Fratelli d’Italia (FdI), die die Lega in Umfragen überholt hat. Die FdI ist als einzige größere Partei in der Opposition geblieben und greift die Regierungspolitik massiv an.

Draghi, der im Ausland wesentlich populärer ist als in Italien, versucht die Gemüter durch eine Vielzahl von Hilfen zu beruhigen – ohne die hohe Verschuldung von rund 150% des Bruttoinlandsprodukts weiter nach oben zu treiben. Allein seit Jahresanfang hat die Regierung rund 30 Mrd. Euro zur Abfederung der stark gestiegenen Energie- und Treibstoffpreise zur Verfügung gestellt. Über ein neues Hilfsprogramm soll in diesen Tagen abgestimmt werden.

Finanziert werden diese Maßnahmen unter anderem durch eine „Übergewinnsteuer“ für Energiekonzerne. Allerdings stößt die Regierung damit an Grenzen. Draghi setzt auf weitere europäische Hilfen und eine neue gemeinsame europäische Schuldenaufnahme, obwohl Italien mit mehr als 190 Mrd. Euro Darlehen und Hilfen größter Nutznießer des europäischen Wiederaufbauprogramms ist. Beobachter halten vorgezogene Neuwahlen weiter für möglich. Einen Anlass für ein Auseinanderbrechen der Regierung könnte die Debatte über den Haushalt 2023 im Herbst liefern.

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