Bundestagswahl 2021

Ein Digital­ministerium soll es richten

Die digitalpolitische Bilanz der Legislaturperiode fällt durchwachsen aus. Die Pandemie hat vor allem Defizite in der Verwaltung und im Bildungssektor aufgezeigt. Die Union will das Thema aufwerten und ein eigenes Ministerium schaffen. Für SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz ist Digitalisierung Chefsache.

Ein Digital­ministerium soll es richten

Von Stefan Paravicini, Berlin

Fast 300 Mal findet sich das Wort „digital“ im Koalitionsvertrag aus dem Frühjahr 2018. Die Digitalpolitik wurde in der zu Ende gehenden Legislaturperiode mit einer Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin als Beauftragte für Digitalisierung institutionell aufgewertet. Von 135 Digitalvorhaben, die im Koalitionsvertrag ausbuchstabiert sind, haben die Regierungspartner immerhin knapp die Hälfte vollständig umgesetzt, wie der Digitalverband Bitkom in seiner Bilanz der Regierungsarbeit aufzählt. „Es wurde enorm viel angegangen, das muss man wirklich sagen“, zollt auch Martin Schallbruch, Direktor des Instituts für Digitale Gesellschaft an der ESMT in Berlin, der Digitalen Agenda dieser Bundesregierung Respekt (siehe Interview auf dieser Seite).

Die Beurteilung der digitalpolitischen Arbeit am Ende der Legislaturperiode fällt dennoch „durchwachsen“ aus, wie der Bitkom schreibt. Ein digitalpolitischer Durchbruch sei der Regierung nur in einzelnen Bereichen wie dem Gesundheitssektor gelungen, wobei die Herausforderungen der Corona-Pandemie die Digitalisierung stärker bewegt haben dürften als die Regierungen in Bund und Ländern, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. „Und sie hat dargelegt, dass wir an vielen Stellen drastischen Nachholbedarf haben, insbesondere bei der Digitalisierung der Ämter, Behörden und Schulen.“

Defizite bei der Digitalisierung der Verwaltung räumt kurz vor dem Ende ihrer 16 Jahre währenden Regierungszeit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. „Dazu muss man sagen, dass wir besser sein könnten und sollten. Es geht zum Teil sehr langsam voran“, sagte sie bei ihrer Sommer-Pressekonferenz vor wenigen Tagen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte bei der Hannover Messe Industrie in diesem Frühjahr an, notfalls Experten aus Estland einzufliegen, wenn es beim Thema E-Government weiter klemmen sollte. Gemessen an den Zielen des Online-Zugangsgesetzes von 2017, das bis spätestens Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen für die Bürger auch vom eigenen Computer aus zugänglich machen sollte, bewegt sich bislang nämlich sehr wenig. Mit Blick auf die Vorgabe der Europäischen Union, 73 Verwaltungsleistungen in allen Mitgliedstaaten bis Ende 2023 vollständig digital anzubieten, startet Deutschland bei null. Kein Wunder, dass Deutschland bei der Bewertung der digitalen öffentlichen Dienste im Rahmen des Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Desi) der Europäischen Union zum Ende der Ära Merkel deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt (siehe Grafik).

Scholz mit Chief Digital Officer

Um die digitalen Mängel zu beheben und die Koordinierung der Digitalpolitik zu verbessern, fordern immer mehr Experten ein Digitalministerium. Der Bitkom hält die Schaffung eines Digitalressorts für „eines der wichtigsten Projekte für die neue Bundesregierung“. Die Union hat es in ihrem Wahlprogramm bereits festgeschrieben. Die Grünen wollen ein Digitalbudget statt eines eigenen Ministeriums, könnten sich auf ein Digitalministerium aber vielleicht dann einlassen, wenn es im Gegenzug das von ihnen geforderte Klimaschutzministerium gibt. Die FDP wollte das Digitalministerium schon in den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition 2017 durchsetzen. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz will die Digitalisierung ebenso wie den Klimaschutz zur Chefsache machen, kann sich aber einen Chief Digital Officer der Bundesregierung im Kanzleramt vorstellen.

Bisher erschienen:

Der Industriestandort (30.7.)

Die Staatsfinanzen (23.7.)

Die Steuerpolitik (16.7.)

Der Innovationsstandort (9.7.)

Die Ausgangslage (2.7.)

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