Rentenreform

Frankreich erwartet schwarze Woche

Premierministerin Borne appelliert angesichts geplanter Proteste gegen die Rentenreform an die Vernunft der Gewerkschaften. Sie will den Entwurf aber auch nicht durchs Parlament pressen, sondern setzt auf ein anderes Rezept.

Frankreich erwartet schwarze Woche

wü Paris

Frankreich erwartet eine schwarze Woche mit Streiks und Protesten gegen die geplante Renten­reform der Regierung. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren wollen alle Gewerkschaften am 19. Januar eine geschlossene Front bilden, um die vorgesehene Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu verhindern. Es könnte ihnen gelingen, noch mehr Franzosen auf der Straße zu mobilisieren als Ende 1995, meint Philippe Martinez von der kommunistischen CGT. Damals hatten zwei Millionen Menschen gegen die von dem damaligen Premierminister Alain Juppé geplanten Renten- und Sozialversicherungsreformen protestiert. Gleichzeitig legten die Gewerkschaften das Land damals mit Streiks drei Wochen lang lahm.

Premierministerin Élisabeth Borne appelliert nun an die Vernunft der Arbeitnehmerorganisationen, nicht ihre Landsleute zu bestrafen. In den letzten Monaten hat sie bereits zehnmal von Artikel 49.3 der Verfassung Gebrauch gemacht. Dieser ermöglicht es, Gesetzestexte ohne vorherige Abstimmung zu verabschieden. Er darf allerdings nur für das Haushaltsgesetz oder die Finanzierung der Sozialversicherung angewendet werden. Um die erwarteten Proteste nicht zusätzlich zu befeuern, will Borne mit allen Mitteln verhindern, bei der Rentenreform erneut auf Artikel 49.3 zurückgreifen zu müssen.

Das könnte sie theoretisch, da die Rentenreform im Rahmen eines Nachtragsgesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung geplant ist. Dies eröffnet der Regierung Bornes gleichzeitig die Möglichkeit, die Debatten im Parlament zu verkürzen. Sollte sich die Nationalversammlung nach erster Lesung des Gesetzentwurfs nicht innerhalb von 20 Tagen dazu äußern, kann die Regierung den Text ohne Änderungen dem Senat vorlegen.

Dies ist umso wichtiger, als die Regierungspartei seit den Parlamentswahlen im Juni keine absolute Mehrheit mehr hat. Die Abgeordneten des rechtsradikalen Rassemblement National, der Partei von Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon sowie Sozialisten, Kommunisten und Grüne sind gegen die Rentenreform.

Mindestrente soll steigen

Die Regierung kann jedoch auf die Unterstützung zumindest eines Teils der konservativen Republikaner hoffen, nachdem sie ihren Forderungen entgegengekommen ist. So will sie das Rentenalter nur auf 64 Jahre anheben und nicht auf 65 wie ursprünglich angedacht. Zudem soll die Mindestrente auf 1200 Euro pro Monat erhöht werden.

Der Arbeitgeberverband Medef begrüßt die geplante Reform als pragmatisch und verantwortungsbewusst. Er hat sich jedoch gegen den vorgesehenen Altersindex ausgesprochen, durch den Konzerne gezwungen werden sollen, den Anteil älterer Mitarbeiter an der Belegschaft offenzulegen. Da Franzosen Schul- und Hochschulabschlüsse relativ früh machen und das Rentenalter relativ niedrig ist, investieren die meisten französischen Unternehmen nicht genügend in Arbeitnehmer, die älter als 50 Jahre sind. Entsprechend lag die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen in Frankreich zuletzt bei 56%, in Deutschland dagegen bei 71,8%. Mit dem Reformprojekt hat Präsident Emmanuel Macron jetzt eine Diskussion über das Thema angestoßen. Laut Umfragen unterstützt eine Mehrheit der Franzosen Proteste gegen die Reform.