CHINA

Nur die Spitze des Eisbergs

Trau, schau, wem? In Chinas Bondmarkt gibt es seit kurzem besonderen Anlass, niemandem leichtfertig Vertrauen zu schenken. Eine Reihe von Firmen mit staatlichem Hintergrund ist in Liquiditätsprobleme geraten und musste bei der Bedienung ihrer...

Nur die Spitze des Eisbergs

Trau, schau, wem? In Chinas Bondmarkt gibt es seit kurzem besonderen Anlass, niemandem leichtfertig Vertrauen zu schenken. Eine Reihe von Firmen mit staatlichem Hintergrund ist in Liquiditätsprobleme geraten und musste bei der Bedienung ihrer Anleihen passen. Sogenannte Defaults sind an Bondmärkten gang und gäbe und vor allem dann kein Anlass zur Sorge, wenn es sich bekanntermaßen um riskante Adressen handelt, die entsprechend hohe Zinsaufschläge leisten müssen. Kommt es jedoch völlig überraschend zu Defaults bei Adressen, die Top-Bonitätsnoten seitens der Ratingagenturen erhalten, steht man rasch vor einem Vertrauensproblem, das breitere Marktverwerfungen nach sich ziehen kann.Genau in einer solchen Situation befindet sich Chinas Bondmarkt. Er summiert sich als Nummer zwei in der Welt auf ein stolzes Volumen von fast 4 Bill. Dollar, wobei mehr als die Hälfte auf Adressen entfällt, hinter denen in letzter Instanz Lokalregierungen oder andere staatliche Institutionen stehen. Bislang galten diese Emittenten, gerade wegen ihres Hintergrundes, als sichere Nummer. Man ging implizit davon aus, dass die öffentliche Hand mehr oder weniger diskret eingreifen würde, wenn sich Zahlungsschwierigkeiten auftun sollten. In diesem Corona-Jahr jedoch ist alles ein bisschen anders.Zeitweilig wurden die Geld- und Kreditmärkte mit Liquidität überflutet und Bankengläubiger dazu animiert, Zahlungsaufschub zu gewähren. Nun, da die Wirtschaft wieder in Gang kommt, schwenkt Peking auf Normalkurs zurück und bekennt sich zu Finanzstabilität und Eindämmung der allfälligen Verschuldungsgefahren. Das heißt aber auch, dass verschuldungswütigen Lokalregierungen nicht zwangsläufig unter die Arme gegriffen wird. Diese wiederum können nicht länger Unternehmen im eigenen Beritt kategorisch auffangen.In der Folge zieht ein gewaltiges Bonitätseinschätzungsproblem herauf. Chinesische Ratingagenturen gehen seit jeher äußerst großzügig mit der Verleihung der Rating-Note “AAA” um. Etwa 70 % aller Unternehmensemittenten genießen ein Spitzenrating. Das Laisser-faire in Sachen Kreditrisikoeinschätzung droht sich jetzt zu rächen. Man steht vor einer Moral-Hazard-Problematik mit verzerrten Anlegererwartungen und nicht risikoangepassten Bondpreisen. Kein Wunder, dass Chinas Bondanleger auf Tauchstation gehen. Sie müssen befürchten, dass die jüngsten Defaults von Emittenten mit “AAA”-Rating nur die Spitze eines Eisberges sind.