Rücktritt der Regierung

Prinzip Chaos in Italien

Das Ende der Regierung Draghi kommt zur Unzeit und erhöht die politische Unsicherheit in Italien und Europa erheblich.

Prinzip Chaos in Italien

Es herrscht Krieg in Europa. Die Energieversorgung ist gefährdet, die Wirtschaft schwächelt, die Inflation ist auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten und eine beispiellose Hitzewelle hat Italien seit Monaten fest im Griff. Doch Italiens populistische Parteien Lega, Forza Italia, Fratelli d’Italia und die 5-Sterne-Bewegung haben nichts Besseres im Sinn, als die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi zu stürzen, der einzigen international glaubwürdigen Persönlichkeit des Landes. Es war Dra­ghi, der Italien aus der Corona-Pandemie geführt, Rom fast 200 Mrd. Euro aus dem Europäischen Wiederaufbauprogramm gesichert und ein umfangreiches Reformprogramm auf den Weg gebracht hat.

Das hoch verschuldete Land, traditionelles Sorgenkind Europas, wird seinem Ruf der Unzuverlässigkeit ausgerechnet in einer Phase höchster politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit gerecht. Die Regierungsparteien haben Draghi schon in den letzten Monaten erheblich zugesetzt, Reformen des Wettbewerbsrechts, des Rentensystems oder des Katasterrechts verwässert oder blockiert sowie riesige schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme gefordert. Es ist ein Treppenwitz, dass es am Ende der von den 5 Sternen abgelehnte Bau einer Müllverbrennungsanlage in Rom war, der das Ende der Regierung eingeleitet hat.

Draghi war kein Wundermann. Er hat Kompromisse gemacht, war weniger effizient als erwartet und hat die Konjunktur mit einer unübersehbaren Vielzahl an Hilfen am Laufen gehalten, die viel Geld gekostet haben, aber oft wenig sinnvoll waren. Und er stieß an Grenzen bei der Umsetzung der Reformen, die im Gestrüpp von Bürokratie und einem Mangel an Personal hängen blieben. Doch Draghi war der Garant dafür, dass Italien halbwegs auf Reformkurs blieb, und er genoss die Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft.

Jetzt herrscht Chaos. Bis zu den wahrscheinlichen Neuwahlen im Herbst und bis zur anschließenden Regierungsbildung wird Italien über Monate über keine handlungsfähige Regierung verfügen. Die Perspektiven sind angesichts der zu erwartenden Machtübernahme rechtsnationaler Populisten, die sich nicht um Schulden und europäische Verpflichtungen scheren, mehr als beunruhigend. Der starke Anstieg des Spread zwischen deutschen und italienischen Bonds und die damit verbundenen deutlich höheren Finanzierungskosten für den Staat und die Unternehmen liefern einen Vorgeschmack da­rauf. Italiens Hoffnungen ruhen darauf, dass sich EU und Europäische Zentralbank nachsichtig zeigen.

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