Merkels letzter EU-Gipfel

Scholz erbt in Europa viele Baustellen

Nach ihrem wohl letzten EU-Gipfel hat Kanzlerin Angela Merkel eingeräumt, dass sie ihrem Nachfolger in der Europapolitik viele Baustellen übergeben muss. Auch in der Handelspolitik und der Energiepolitik zeigten sich in Brüssel Differenzen.

Scholz erbt in Europa viele Baustellen

ahe Brüssel

Nach ihrem 107. und wahrscheinlich letztem Europäischen Rat hat die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem Zustand der EU ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Sie sprach von einer Situation, die ihr Sorgen bereite und einer „Reihe von ungelösten Problemen“ – mit dem Verweis unter anderem auf den Streit um Rechtsstaatlichkeit und eine gemeinsame Migrationspolitik. „Die Baustellen für meinen Nachfolger sind groß“, räumte Merkel ein. Sollten die Koalitionsgespräche entsprechend verlaufen, könnte an dem nächsten regulären EU-Gipfel Mitte Dezember bereits Olaf Scholz (SPD) als neuer Kanzler teilnehmen.

Bei dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag hatte sich gezeigt, dass selbst in der Handelspolitik Unzufriedenheit herrscht, weil das Verhandeln neuer Freihandelsverträge sowie insbesondere die anschließende Ratifizierung immer schwieriger wird. Merkel verwies darauf, dass eine Ratifizierung von Abkommen selbst mit engen politischen Partnern wie Kanada mehr als vier Jahre dauere. Allerdings hat auch Deutschland das Ceta-Abkommen bislang noch nicht endgültig gebilligt. Ebenso wie Merkel warnte auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen davor, EU-Handelsverträge „mit allen möglichen sonstigen Problemen zu überfrachten“ und damit schwieriger umsetzbar zu machen. „Das ist eine Schwäche, die wir überwinden sollten“, sagte auch Merkel.

EU-Ratspräsident Charles Michel sah dies etwas anders. Er forderte zwar mehr Transparenz bei den Verhandlungsmandaten, verwies in Brüssel aber darauf, dass Handelsverträge für die EU auch ein Instrument seien, um wichtige globale Entwicklungen voranzutreiben – etwa in den Bereichen Klima, Soziales oder Menschenrechte. Auf dem EU-Gipfel wurde zum Thema Handel eine strategische Debatte geführt. Auf offizielle Schlussfolgerungen hierzu verzichteten die Staats- und Regierungschefs jedoch. In den vergangenen Monaten hatte es bereits wiederholt Streit innerhalb der Union gegeben, unter anderem weil Frankreich die Handelspolitik auch als Instrument für eine „strategische Autonomie der EU“ sieht.

Auch aus der Wirtschaft kamen aus Anlass der Gipfelberatungen neue Warnungen: „Der Stillstand der EU-Handelsabkommen muss dringend überwunden werden“, betonte etwa sagt Ulrich Ackermann, der den Bereich Außenwirtschaft beim deutschen Maschinenbauverband VDMA leitet. Das beste Beispiel ist seiner Ansicht nach das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. „Hier bewegt sich schon viel zu lange nichts mehr.“ Die von der EU-Kommission ausgehandelten Freihandelsabkommen würden vom Europaparlament und den EU-Mitgliedsstaaten immer weniger angenommen, so Ackermann. „Das ist für exportorientierte Industrien wie den europäischen Maschinen- und Anlagenbau ein riesiges Problem, gefährdet Arbeitsplätze und den Wohlstand in Europa.“

Energie bleibt Streitthema

Auch in ihrer Debatte über eine Antwort auf die hohen Energiepreise zeigte sich auf dem EU-Gipfel wenig Einigkeit – auch weil die Ursachen für die Preisentwicklung unterschiedlich gesehen werden. So wurden die Europäische Kommission und die europäische Marktaufsichtsbehörde ESMA nun zunächst aufgefordert, Untersuchungen zum Strom- und Gasmarkt sowie zum CO2-Handel vorzulegen und dabei auch mögliche Manipulationen zu überprüfen. Vor allem Polen, Tschechien und Spanien hatten darauf gedrungen. Von der Leyen sagte nach dem Gipfel, die EU-Kommission habe derzeit keine Anhaltspunkte für Marktmanipulationen.

Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland machten sich auf dem Gipfel für gemeinsame Gaseinkäufe der EU-Staaten stark, Frankreich forderte einmal mehr eine stärkere Rolle der Atomenergie. Merkel und ihr niederländischer Amtskollege Mark Rutte sprachen sich gegen Markteingriffe aus. Das Thema Energiepreise soll beim nächsten Europäischen Rat im Dezember erneut auf die Tagesordnung kommen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.