Corona-Impfstoffe

Schwieriger Spagat in Patentdebatte

Die Spitzen von EU-Kommission und Bundesregierung reagieren reserviert auf das Vorhaben Washingtons für eine befristete Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe gegen das Coronavirus.

Schwieriger Spagat in Patentdebatte

In die seit Monaten festgefahrene Debatte über eine fairere Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus in aller Welt ist durch das überraschende Ansinnen der US-Regierung in Sachen Patentfreigabe schlagartig Bewegung gekommen. Der amerikanische Präsident Joe Biden hat dafür plädiert, den Schutz des geistigen Eigentums für Corona-Vakzine vorübergehend auszusetzen. Das gilt zwar als Meilenstein für ein entsprechendes Abkommen, auf das Schwellen- und Entwicklungsländer seit Monaten drängen. Allerdings benötigt Biden die Zustimmung sämtlicher 164 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO). Den reservierten Reaktionen des politischen Personals in Berlin und Brüssel nach zu urteilen sieht es danach vorerst nicht aus.

Biden hatte sein Ansinnen in einer Rede am Mittwoch publik gemacht. In einer offiziellen Erklärung sagte seine Handelsbeauftragte Katherine Tai im Anschluss: „Die Regierung glaubt fest an den Schutz des geistigen Eigentums, aber um die Pandemie zu beenden, unterstützt sie den Verzicht auf diese Schutzmaßnahmen für Covid-19-Impfstoffe.“ Das war ein Paukenschlag, hatte sich die US-Regierung doch bislang kategorisch gegen das von Indien und Südafrika lancierte Vorhaben gesperrt. Dahinter steckt die Absicht, bislang kaum versorgten Schwellen- und Entwicklungsländern Zugang zu Impfstoffen auf breiter Front zu geben. Mehrere Länder und Staatenblöcke blockieren das Vorhaben, darunter die EU, Schweiz, Kanada, Großbritannien und Japan.

Spitzenpolitiker Deutschlands und der EU waren gestern um einen Spagat bemüht: Einerseits hoben sie ihre grundsätzliche Bereitschaft hervor, Impfstoffe großflächig zugänglich zu machen. Andererseits wiesen sie auf andere Hindernisse neben dem Pa­tentschutz hin, die eine gleichmäßigere Verteilung erschweren bis verhindern. So signalisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zwar grundsätzliche Ge­sprächs­bereitschaft, sagte bei einem Presseauftritt laut Bloomberg aber auch: „Über das gesamte Spektrum müssen wir sprechen, wenn wir die globale Krise lösen wollen, nicht nur das Thema der Patent-Rechte.“ Diese Causa dürfte auch beim zweitägigen Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU in Porto am Freitag und Samstag zur Sprache kommen.

Die beteiligten Ministerien innerhalb der Bundesregierung berieten nach Informationen der Börsen-Zeitung am Donnerstagnachmittag über eine gemeinsame Linie. Zuvor hatte es mehrere, eher verhaltene Wortmeldungen gegeben. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) drängte auf eine Ausweitung der Produktionskapazitäten: „Die Aussetzung von Corona-Impfstoffpatenten alleine sorgt noch nicht für eine einzige zusätzliche Impfdose.“ Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ergänzte: Staaten, in denen Impfstoff produziert wird, müssten bereit sein, diesen auch an andere zu exportieren. „Die EU ist dazu in Wort und Tat bereit. Wir freuen uns, wenn die USA es nun auch sind“, sagte Spahn laut der Nachrichtenagentur dpa-afx.

Die bisherige Weigerung der USA, in nennenswertem Umfang den Export von Impfstoffen zuzulassen, sorgt innerhalb der EU seit je für Unmut. Diese Woche tadelte dies auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rahmen der Beratungen der führenden Industrienationen (G7). Von der Leyen sagte am Donnerstag laut Bloomberg: „Während andere ihre Impfstoffproduktion für sich behalten, ist Europa der Hauptexporteur von Impfstoffen weltweit.“ Ungeachtet einer vor drei Monaten eingeführten und soeben bis Ende Juni verlängerten Exportkontrolle seitens der EU haben nach Angaben der Brüsseler Behörde 90 Länder mehr als 200 Mill. Dosen Corona-Impfstoff aus der EU bezogen.

Auf diese Ungleichgewichte verwiesen Vertreter der EU auch bei der WTO, hieß es in Genf. WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala begrüßte die Aussagen aus Washington. Sie freue sich, „dass die Befürworter eine Revision ihres Vorschlags vorbereiten“. Sie drang die Initiatoren aus Indien und Südafrika, einen abgeschwächten Entwurf als Grundlage weiterer Verhandlungen „so schnell wie möglich auf den Tisch zu legen“. Noch im Laufe dieses Monats könnten die Verhandlungen zur Freigabe von Patenten auf dieser neuen Grundlage beginnen, hieß es bei der WTO.

Ein Sprecher des Außenministeriums in Indien, wo sich die Lage mit einer Rekordzahl von offiziell mehr als 400000 Infizierten am Tag dramatisch zuspitzt, zeigte sich „dankbar“ über die Unterstützung aus Washington. Pharmaverbände und Vertreter von Impfstoffproduzenten wiesen das Vorhaben zurück. Eine Sprecherin der Bundesregierung sagte am Abend laut Reuters: „Der limitierende Faktor bei der Herstellung von Impfstoffen sind die Produktionskapazitäten und die hohen Qualitätsstandards, nicht die Patente. Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben.“

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