Lieferkettenprobleme

Teilemangel dürfte bis 2024 Produktion stören

Die Bundesbank hat Unternehmen zu Lieferkettenstörungen befragen lassen – und schlägt nun deutlich skeptischere Töne zur Konjunktur an. Accenture beziffert die Produktionseinbußen für die Eurozone.

Teilemangel dürfte bis 2024 Produktion stören

rec Frankfurt

Eine große Mehrheit der Industrieunternehmen in Deutschland klagt über anhaltende Störungen in ihren Lieferketten. Für vier Fünftel hat sich ihr Zugang zu Vorprodukten verschlechtert oder sie befürchten dies im laufenden Jahr, ergab eine Umfrage der Bundesbank unter circa 500 Firmen des verarbeitenden Gewerbes. Es ist mit erheblichen Produktionsausfällen zu rechnen. In der Eurozone ist wegen gestörter Lieferketten in Summe mit Einbußen von annähernd 1 Bill. Euro zu rechnen, hat die Beratungsgesellschaft Accenture errechnet.

Der internationale Warenaustausch ist seit mehr als zwei Jahren massiv behindert. Zunächst sorgte die Pandemie für Lieferengpässe. Als diese sich allmählich legten, sorgten Russlands Krieg gegen die Ukraine und neue Corona-Beschränkungen in China für Verwerfungen. In beiden Fällen ist bislang kaum Besserung in Sicht. Beides trifft die deutsche Wirtschaft besonders hart – wegen der Nähe zum Krieg in der Ukraine und wegen der Bedeutung des Außenhandels mit China.

Die Bundesbank hat die Umfrage im März durchführen lassen und für den aktuellen Monatsbericht ausgewertet. Die Ergebnisse geben also erste Hinweise zu den erwarteten Folgen des Ukraine-Kriegs für die deutsche Wirtschaft. Demnach erwarten die Industrieunternehmen, dass die Produktionsverluste im laufenden zweiten Quartal noch zunehmen und zur Jahresmitte ihren Höhepunkt erreichen.

Das deckt sich im Wesentlichen mit Erkenntnissen des Münchner Ifo-Instituts. Demnach klagten im April drei Viertel der Industrieunternehmen über Probleme und Engpässe bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Der Materialmangel ist demnach zu Beginn dieses Quartals von historischen Höchstständen allenfalls leicht zurückgegangen. Ifo-Experte Klaus Wohlrabe sah deshalb zuletzt „keine Anzeichen, dass es in den kommenden Monaten zu einer substanziellen Entlastung kommt“.

Die Ökonomen der Bundesbank schlagen nun skeptischere Töne an, was das Wachstum der deutschen Wirtschaft und Nachholeffekte betrifft. Selbst im übernächsten Jahr erwarteten die Unternehmen der Umfrage zufolge „noch merkliche Produktionsverluste durch Lieferengpässe“. Dies werde die Industrieproduktion deutlich belasten und die ursprünglich erwartete Erholung erheblich nach hinten verschieben, heißt es im Bundesbank-Monatsbericht Mai. Bis zum Ukraine-Krieg waren die Volkswirte der Zentralbank davon ausgegangen, dass sich die Lieferengpässe im Laufe dieses Jahres sukzessive auflösen.

Accenture beziffert Einbußen

Dieses Szenario ist auch für Accenture Makulatur geworden. Accenture-Europachef Jean-Marc Ollagnier sagt: „Während vor dem Krieg eine gewisse Normalisierung der Lieferketten in der zweiten Jahreshälfte 2022 erwartet wurde, rechnen wir jetzt nicht vor 2023 damit, vielleicht nicht einmal vor 2024, je nachdem, wie sich der Krieg entwickelt.“ Ausgangspunkt ist eine Studie, die die Beratungsgesellschaft am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht hat. Demnach hängen bis zu 30% der Wertschöpfung in der Eurozone davon ab, dass grenzüberschreitende Lieferketten zwecks Materialbeschaffung oder als Zielort für die Produktion funktionieren.

Lieferkettenstörungen im Zusammenhang mit der Pandemie 2021 hätten Produktionsverluste von 112,7 Mrd. Euro in der Eurozone verursacht. Durch den Ukraine-Krieg könnten sich die Folgen potenzieren: Im Falle eines langwierigen Krieges rechnet Accenture mit Einbußen von 318 Mrd. Euro in diesem und 602 Mrd. Euro im nächsten Jahr. „Der potenzielle Verlust entspricht 7,7% des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone im Jahr 2023“, heißt es.