Rede an die Nation

US-Präsident Biden vor neuen Herausforderungen

US-Präsident Joe Biden will 1.8 Bill. Dollar ausgeben, um Familien zu helfen und mehr sozialen Ausgleich herbeizuführen. Mit den dazu notwendigen Steuererhöhungen verärgert er aber Republikaner und riskiert Chancen auf einen politischen Konsens in Washington.

US-Präsident Biden vor neuen Herausforderungen

det Washington

Eine Ehrenrunde würde US-Präsident Joe Biden in seiner ersten Rede vor beiden Kammern des Kongresses nicht drehen, hatte das Weiße Haus vorher versprochen. Allerdings konnte Biden in seiner gut einstündigen Ansprache durchaus auf Erfolge während der ersten 100 Tage im Amt hinweisen: Über 220 Millionen Impfspritzen gegen das Coronavirus, eine entschlossene Kampfansage an den Klimawandel sowie Konjunkturpakete, die an der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen zu einer kräftigeren Erholung beitrugen, als Ökonomen dies noch vor wenigen Monaten für möglich gehalten hätten. Gestützt von einer deutlichen Zunahme der Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen legte nämlich die annualisierte Wirtschaftsleistung laut Handelsministerium im ersten Quartal um robuste 6,4% zu. Im Schlussquartal 2020 hatte die aufs Jahr hochgerechnete die Wachstumsrate 4,3% betragen.

Der Präsident nutzte den Hinweis auf die bisherigen Leistungen für einen direkten, aber riskanten Übergang zu seinen nächsten großen Vorhaben. So forderte er Republikaner zu konstruktiver und überparteilicher Zusammenarbeit auf, machte sich für Einwanderungs- und Polizeireform ebenso wie schärfere Waffenkontrollen und für die Überwindung des institutionellen Rassismus stark. Auch beteuerte Biden Amerikas Loyalität gegenüber langjährigen Bündnispartnern und schlug einen harten Ton gegenüber Russland sowie gegenüber China an. Weder würden sich die USA unter seiner Administration illegale Wahleinmischung oder Cyberattacken noch wettbewerbsverzerrende Handelspraktiken gefallen lassen, bekräftigte er und signalisierte sogar leicht protektionistische Tendenzen. Einlösen will er nämlich ein weiteres Wahlversprechen, und zwar, dass „Buy American“ das oberste Gebot sein wird, wenn es darum geht, für staatliche Investitionen in Infrastruktur und erneuerbare Energien Aufträge zu vergeben und Jobs zu schaffen.

Höhepunkt der Regierungserklärung war aber dennoch jener 1,8 Bill. Dollar schwere „American Families Plan“, der kostenloses Studieren, Kinderbetreuung, bezahlte Urlaube für berufstätige Eltern sowie erstmals in der US-Geschichte Kindergeld vorsieht. Damit will Biden Einkommensungleichheit abbauen und machte ein bedeutendes Zugeständnis an den linksliberalen Flügel seiner Partei, hat andererseits aber Republikaner verärgert. Sie fühlen sich erinnert an jenen sozialstaatlichen Liberalismus, den 90 Jahre zuvor Franklin Delano Roosevelt mit seinem New Deal eingeläutet hatte.

Streit um Steuererhöhungen

Der Plan soll über Steuererhöhungen finanziert werden, von denen die Opposition nichts wissen will. Zwar soll keine Person, die weniger als 400000 Dollar pro Jahr verdient, stärker zur Kasse gebeten werden. Dafür will Biden den Unternehmenssteuersatz von 21 auf 28% erhöhen und den Spitzensatz für die Einkommenssteuer von derzeit 37 auf 39,6% anheben. Er erinnerte daran, dass unter einem Republikaner, nämlich George W. Bush, dies der höchste Satz gewesen sei. Auch fordert Biden, dass bei Wohlhabenden Gewinne aus Wertpapier- und Immobiliengeschäften nicht der deutlich niedrigeren Kapitalertragssteuer, sondern der Einkommenssteuer unterliegen, welches faktisch mehr als eine Verdoppelung der Steuerlast wäre.

Natürlich ist der Präsident Wählern eine Antwort darauf schuldig, wie jene kumulativ fast 6 Bill. Dollar an Ausgabenprogrammen, die er aufgelegt hat, bezahlt werden sollen. Gleichwohl könnte Biden mit den Hilfspaketen und Steuererhöhungen die politische Kluft weiter vertiefen und somit jenes politische Kapital verspielen, das er über lange Jahr als konsensfähiger Politiker erworben hatte, der Demokraten und Republikaner zusammenführen kann.

Den politischen Spagat zwischen konservativen Republikanern und dem progressiven Flügel der Demokraten zu meistern wird für den Präsidenten schwierig sein. Immerhin hat Biden die Rückendeckung von Notenbankchef Jerome Powell, der ebenfalls die soziale „Unebenheit“ der Erholung betont. Hilfreich ist auch, dass Powell klar signalisiert hat, für geraume Zeit sowohl am Nullzins als auch Anleihenkäufen von monatlich 120 Mrd. Dollar festhalten zu wollen. Er wird sich auch nicht vom Anstieg des PCE Preisindex aus der Ruhe bringen lassen, der im ersten Quartal mit einem Plus von 3,5% deutlich über dem zweiprozentigen Inflationsziel der Fed liegt, nach Ansicht Powells aber nur einen temporären Anstieg darstellt.