Private Geldanlage

Aktienhandel der Kleinsparer lebt von Börsen-Storys

Bei der Auswahl von Aktien lassen sich Privatleute mitunter von den Prinzipien einer guten Erzählung leiten: Eine bekannte Person oder ein Bezug zum Alltag lenken die Aufmerksamkeit. Das gilt gerade in sozialen Medien.

Aktienhandel der Kleinsparer lebt von Börsen-Storys

Von Jan Schrader, Frankfurt

Stimmt die Geschichte, fließt an der Börse das Geld: Denn die Prinzipien einer guten Erzählung prägen auch den Aktienhandel der Kleinanleger:

Da wäre erstens die Erzählung entlang umtriebiger Protagonisten. Wenn Tesla-Chef Elon Musk per Twitter wie im November ankündigt, dass er sich von einem Teil seiner Aktien trennen wolle, oder wenn er auf dem gleichen Kanal über die Bewertung von Bitcoin und Ethereum sinniert wie im Februar, reagieren auch deutsche Anleger prompt. Amazon-Gründer Jeff Bezos machte derweil vor einem Jahr mit Ankündigung seines Rückzugs Furore.

Zweitens ist eine Verknüpfung zum Alltag wertvoll: Während alle Welt über das Impfen redet, handeln private Anleger besonders rege mit den Herstellern der Vakzine. Keine Aktie wurde so oft angepackt wie das Papier von Biontech, wie die Direktbank Comdirect und der Online-Broker Scalable Capital übereinstimmend berichten. Vor allem die Impfzulassung in Europa für Kinder ab fünf Jahren im November sowie die Erhöhung des Umsatzziels im Mai haben den Handel belebt. Auch Curevac und Moderna stoßen hierzulande auf viel Interesse.

Drittens lassen soziale Medien die Anleger selbst teilhaben am Geschehen. Der Kauf der bis dahin eher unbedeutenden Aktie der Computerspielladenkette Gamestop, mit dem Kleinanleger Leerverkäufern und Hedgefonds hohe Verluste bescherten, schreckte vor bald einem Jahr Finanzmärkte und Aufseher auf. Auch in deutschen Depots zählt das Papier zu den meistgehandelten Aktien des zurückliegenden Jahres. Aus der anfänglichen Abwehraktion gegen Leerverkäufer entwickelte sich schnell eine Blase, die ebenso rasch wieder in sich zusammensackte.

Blasen gehören dazu

Der Besitz von Aktien kann also mehr bieten als Renditen: Ähnlich wie eine Fernsehshow, die am Folgetag den alltäglichen Plausch bereichert, können Finanzmärkte in Verbindung mit Medien den Aktienbesitz aufwerten. Die Anleger lassen sich dabei stark von aktuellen Nachrichten leiten, so dass Ausschläge an wenigen Tagen typisch sind.

Auf sozialen Medien tauscht sich die Investorengemeinde dann aus. Facebook-Gruppen wie „Aktien mit Kopf“, „Aktien, Börsen und Finanzen“ oder „Finanzfluss“ zählen jeweils Zehntausende Nutzer. Auf Youtube sind Kanäle wie „Mission Money“ und „World of Value“ erfolgreich. Und das Phänomen gemeinsamer Absprachen wiederholte sich nach den Gamestop-Turbulenzen etwa beim Kinobetreiber AMC, der auch in Deutschland für kurze Zeit gefragt war. Häufig gehandelt wurde auch Plug Power, ein US-Hersteller für Wasserstoffbrennzellen, der vor einem Jahr an der Börse kurz auftrumpfte, ehe der Wert wieder in sich zusammenbrach. Bewertungsblasen gehören in der neuen Welt dazu.

Zwar investierten die meisten privaten Anleger auch weiterhin langfristig in Aktien, betont Franz-Josef Leven, stellvertretender Geschäftsführer vom Deutschen Aktieninstitut (DAI), das von börsennotierten Unternehmen getragen wird. Doch mit dem Aufschwung sozialer Medien komme eine neue Komponente hinzu. Belastbare Zahlen für Deutschland sind zwar rar, ein Indiz ist aber eine Umfrage des Nachrichtensenders CNBC von August in den USA. Für ältere Menschen haben soziale Medien demnach nur eine geringe Relevanz für Anlageentscheidungen, doch bereits gut ein Drittel (35 %) der jungen Menschen sammelt Anlageideen dort.

Die Zahl junger Menschen an der Börse steigt auch in Deutschland, so dass das Aktiengeschnatter auf Twitter, Youtube, Facebook und anderen Kanälen zunehmen dürfte. Allein im Jahr 2020 stieg die Zahl der Aktionäre und Aktienfondssparer unter 40 Jahren hierzulande um annähernd 1 Million auf mehr als 3 Millionen, wie das DAI schätzt. Am heutigen Mittwoch präsentiert das Aktieninstitut Daten für das Jahr 2021.

Ein Hang zu einer vertrauten Geschichte zeigt sich aber nicht erst im Zeitalter sozialer Medien, sondern ist seit langem im sogenannten Home Bias erkennbar: Obwohl deutsche Aktien im globalen Markt kaum Gewicht haben, legen deutsche Privatleute ihr überwiegendes Aktienvermögen in heimische Titel an: 287 Mrd. Euro an börsennotierten Aktien in Deutschland stehen einem Volumen von 221 Mrd. Euro bei ausländischen Titeln gegenüber, wie die Bundesbank für Ende September berichtet. In der Coronakrise griffen private Haushalte etwas öfter zu ausländischen Papieren, ein überproportional hohes Gewicht vertrauter deutscher Titel blieb aber bestehen.

Es gibt ein Happy End

Das Prinzip einer breiten Streuung haben die meisten Anleger allerdings begriffen: Das zeigt sich nicht nur in der zunehmenden Bedeutung von Fondssparplänen, sondern auch im Portfolio der Einzelaktien selbst. So ist die Zahl der Titel zwischen 2004 bis 2018 im Durchschnitt von 7,4 auf 13,3 gestiegen, wie eine Studie unter Post-Aktionären der Ruhr-Universität Bochum zeigt. Lang investiert und breit gestreut – so nimmt die Ge­schichte noch am ehesten ein Happy End. Auch das spricht sich zuweilen in Online-Kanälen herum.

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