Frankfurt

Alle Anschluss­züge werden erreicht

Wenn alle – wirklich alle – Züge zu spät kommen, gibt es zumindest ein Problem nicht mehr: „Alle Anschlusszüge werden erreicht.“

Alle Anschluss­züge werden erreicht

Eine Karikatur über die Deutsche Bahn zeigt zwei Freunde, die sich in einem Restaurant leise unterhalten. Der eine flüstert: „Du wirst nicht glauben, was mir neulich mit der Deutschen Bahn passiert ist.“ Und alle anderen Gäste an den Nebentischen rufen: „Doch! Doch! Doch!“

Jeder – und wirklich: jeder – hat seine persönliche Leidensgeschichte mit der Bahn zu erzählen. Im Netz wimmelt es von Berichten über Odysseen, die man etwa über „Deutsche Bahn unter aller Sau“ googeln kann. Und natürlich finden sich im Web auch jede Menge Witze der Marke: Wie viele Leute arbeiten bei der Deutschen Bahn? Ungefähr die Hälfte.

Nun hat das Bahn-Bashing ja schon lange Tradition. Und doch sind Spott und Zorn in den vergangenen Monaten noch einmal galliger geworden. Das mag daran liegen, dass Deutschlands Züge zuletzt so häufig zu spät gekommen sind wie lange nicht mehr. Zugleich dürfte eine Rolle spielen, dass sich nach der Aufhebung von Lo(c)k­downs und dem Angebot des 9-Euro-Tickets wieder deutlich mehr Menschen in Zügen drängen.

Viele von ihnen mussten erleben, dass ihr Zug „den letzten Bahnhof mit aktuell 40 (oder 60 oder 150) Minuten Verspätung verlassen hat“ – aus unterschiedlichsten Gründen. Wobei sich Fahrgäste die Frage stellen, worin eigentlich der Unterschied zwischen „Verzögerungen im Betriebsablauf“ und „Verspätungen bei der Bereitstellung“ liegt. Fast schon provozierend wirkt der Verweis auf die „Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“. Was soll damit insinuiert werden? Eigentlich, liebe Fahrgäste, wären wir pünktlich, aber der andere Zug vermasselt alles. Mit Verlaub: Dieser „andere“ Zug gehört ja auch zur Deutschen Bahn. Für Logiker wird übrigens daraus noch ein ganz anderer Schuh: Wenn alle – wirklich alle – Züge zu spät kommen, gibt es zumindest ein Problem nicht mehr: „Alle Anschlusszüge werden erreicht.“

Die Reaktionen der Reisenden auf Verspätungen sind unterschiedlich – von völligem Gleichmut bis hin zu Wutausbrüchen an der Grenze zu Straftatbeständen. Einer anekdotischen Studie zufolge gilt dabei: Je privater der Grund der Reise, desto aggressiver die Schimpfkanonaden. Oder andersrum gesagt: Fahrgäste, die später ins Büro kommen, wirken oft tiefenentspannt – verglichen mit denen, die eine Stunde Party verpassen.

Was den Unmut noch verstärkt, ist, dass aktuell Flugreisen keine Alternative darstellen – nicht mal für die, denen Klimaschutz schnuppe ist und die sogar von Köln nach Düsseldorf fliegen würden. Denn aufgrund des Chaos bei der Abfertigung auf den Flughäfen sind die Risiken, mit dem Flieger aus Hamburg viele Stunden zu spät in München anzukommen, gefühlt mindestens so hoch wie mit der Bahn. Was zur Folge hat, dass manch einer von den Fernsehbildern über lange Schlangen am Check-in, über endlose Staus auf den Autobahnen im Ferienreiseverkehr und über irgendwo zum Halt gekommene ICE-Züge abgeschreckt ganz aufs Reisen verzichtet und einfach daheim bleibt. Und das ist nun wirklich mal eine gute Nachricht.

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