Unterm Strich:

Der Griff in die steuerpolitische Mottenkiste

Wer mit dem Instrument einer Übergewinnsteuer herumfuchtelt, verschreckt Investoren und fördert den Exodus von Unternehmen.

Der Griff in die steuerpolitische Mottenkiste

Wohin mit dem Volkszorn über steigende Energiepreise und vermeintliche Abzockerei an den Tankstellen, was tun mit dem Enttäuschungsschmerz über die angekündigte, aber gefühlt bislang nicht angekommene Entlastung der Bürger? Die neue weiße Salbe fürs Volk heißt Übergewinnsteuer. Da mussten grüne und linke Politiker nicht lange in der steuerpolitischen Mottenkiste kramen, um ein Instrument zu finden, mit dem sich vermeintliche oder tatsächliche Kriegs- und Krisengewinnler zur Kasse bitten lassen. Das Problem ist leider nur, dass eine Übergewinnsteuer vielleicht die nach gerechter Lastenverteilung dürstenden Seelen beruhigt, nicht aber die Staatskasse füllen wird. Denn einer solchen Steuer sind nicht nur verfassungsrechtlich enge Grenzen gesetzt, sie wäre auch steuerrechtlich problematisch und in der Umsetzung äußerst aufwendig.

Welcher Gewinn ist normal?

Es beginnt damit, dass der Begriff Übergewinn schwer zu fassen ist. Häufig wird er als über den „Normalgewinn“ hinausgehender Gewinn definiert. Damit ist aber nichts gewonnen. Denn was ist der „Normalgewinn“ eines Unternehmens? „Normal“ verglichen mit durchschnittlichen Gewinnen früherer Perioden? In welchem Zeitraum? Oder „normal“ verglichen mit anderen Unternehmen derselben Branche oder vergleichbarer Größe oder desselben Landes? Da Wirtschaft nie statisch ist und es auch ohne Kriege und Krisen permanent Veränderungen struktureller Art und im Zeitablauf gibt, müsste man alle diese Einflüsse bereinigen. In ökonomischen Modellen geht das problemlos mit der „Ceteris-paribus“-Annahme. In der realen Welt des konjunkturellen Auf und Ab, der Zu- und Verkäufe, der gegenseitigen Abhängigkeiten und Verflechtungen wäre es eine Herkulesaufgabe, den Übergewinn als belastbare Größe und damit als Steuerobjekt ermitteln zu wollen. Die Folge wäre ein gigantisches Beschäftigungsprogramm für Steuerberater – wenigstens könnte man dann dort die Übergewinne abschöpfen.

Zuvor werden sich freilich die Beamten in den Fachausschüssen des Bundesrats mit der Übergewinnsteuer beschäftigen dürfen. Denn dorthin sind am Freitag vom Bundesrat die Anträge der Länder Bremen, Berlin und Thüringen verwiesen worden. Sie fordern von der Bundesregierung eine befristete Übergewinnsteuer für das Jahr 2022, um „krisenbedingte Übergewinne vor allem im Energiesektor“ mit einer Steuer zu belegen, die zur Finanzierung staatlicher Entlastungsmaßnahmen dienen soll. Die Gewinnsteigerungen einzelner Branchen seien nicht Folge verstärkten wirtschaftlichen Handelns, sondern resultierten allein aus marktlichen Verwerfungen infolge der Krise, so die gewagte These. Offenkundig kennen die Landespolitiker heute schon die Entwicklung der Energiemärkte und Unternehmensgewinne für den Rest des Jahres 2022 und müssen nicht die Untersuchungsergebnisse des Bundeskartellamts zu Wettbewerb und Preisbildung am Markt für fossile Energieträger abwarten. Interessant auch, dass diese drei Bundesländer, die zu den großen Nettoempfängern beim Länderfinanzausgleich gehören, offenkundig Italien für die (steuer-)politische Benchmark Deutschlands halten. Denn sie verweisen auf die dort eingeführte branchenbezogene Solidaritätsabgabe.

Da hätten sie besser die aktuelle Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zur Übergewinnsteuer studieren sollen. Dort sind nämlich ausführlich die historischen Erfahrungen mit solchen Steuern beschrieben und analysiert worden. In den Jahren des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben viele Länder, insbesondere die USA und Großbritannien, zum Instrument einer „Excess Profits Tax“ gegriffen, um zuvorderst die vom Krieg getriebenen Gewinne von Rüstungsfirmen abzuschöpfen, aber letztlich die Wirtschaft insgesamt zur Kriegsfinanzierung zur Kasse zu bitten. Fiskalisch blieb der Erfolg überschaubar. Aber immerhin konnte man sich auf die Fahne schreiben, die Kriegsgewinnler finanziell geschröpft zu haben, während viele andere auf den Schlachtfeldern mit ihrem Leben bezahlten.

Ampel ohne Konzept

In der aktuellen Diskussion um Tankrabatte und Übergewinnsteuer geht es freilich nicht um Leben oder Tod, sondern nur um strapazierte Geldbeutel. Die Vorschläge aus der Politik – von SPD-Parteichef Lars Klingbeil über die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang bis zu den Länder-Chefs aus Thüringen, Bremen und Berlin – zeigen, wie konzeptionslos die Ampel-Regierung in der Krise agiert, dass sie die Wechselwirkungen von Wettbewerbspolitik, Steuerpolitik und Sozialpolitik nicht versteht. Den Misserfolg punktueller marktwidriger Eingriffe wie des befristeten Tankrabatts versucht sie mit weiteren diskretionären Maßnahmen auszugleichen. Eine aus Aktionismus geborene Übergewinnsteuer würde das Vertrauen in die Rahmenbedingungen am Standort Deutschland zur Disposition stellen. An einem Standort, der Unternehmen schon heute im internationalen Vergleich hohe Steuern abverlangt.

Nur die Aussicht auf Gewinne, auch auf vermeintliche Übergewinne, führt zu den benötigten Investitionen und schafft die Voraussetzung für die Transformation der Wirtschaft, für die Digitalisierung und die Dekarbonisierung der Industrie. Wer mit dem Instrument einer Übergewinnsteuer herumfuchtelt, verschreckt Investoren und fördert den Exodus von Unternehmen, insbesondere von Start-ups, die ihren Standort noch leicht verlegen können.

So ärgerlich steigende Preise für die Verbraucher sind und in ihrer Breite als Inflation zu Wohlstandsverlusten und überproportionaler Belastung kleiner Einkommen führen, so wichtig sind diese Preissignale, um Investitionen in die richtigen Märkte zu lenken und Innovationen zu fördern. Staatliche Eingriffe in die Preisbildung und Sonderabgaben für einzelne Branchen wie die geforderte Übergewinnsteuer wirken kontraproduktiv. Und unterm Strich schmälern sie das Steueraufkommen, aus dem der soziale Ausgleich finanziert werden kann.

c.doering@boersen-zeitung.de

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