Brüssel

Die Belgier, die Autobahnen und die Energiekrise

Zwei Drittel der Belgier befürchten, ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen zu können. Überall im Land wird jetzt Strom gespart: Sogar die berühmte Autobahnbeleuchtung muss nun dran glauben.

Die Belgier, die Autobahnen und die Energiekrise

In der jetzigen Energiekrise gibt es keine heiligen Kühe mehr. Jeder muss seinen Anteil zum Stromsparen beitragen. Und auch vor nationalen Heiligtümern wird nicht Halt gemacht. Das weiß jeder, der in den vergangenen Wochen in Berlin im Dunkeln die Siegessäule auf dem Großen Stern gesucht hat. Nein, die „Goldelse“ wird halt nicht mehr angestrahlt. Und das merkt man mittlerweile auch in Belgien, wo es nicht nur auf dem berühmten Grand Place in Brüssel früher dunkel wird, sondern auch auf den Autobahnen. Die Dauerbeleuchtung von Landstraßen und Autobahnen gehörte bisher ja quasi zum Markenkern der Nation. Man war hier stolz darauf, dass das kleine Land auch auf Fotos aus dem Weltall aufgrund dieses Lichtermeeres immer gut zu erkennen war. Doch damit ist jetzt Schluss: Die Wallonie hat in dieser Woche mit dem Abschalten begonnen, zunächst auf der Strecke von Lüttich nach Löwen. Allein das soll schon mal jährlich etwa 400000 Euro bringen. Ein Anfang ist gemacht. Eine größere Zunahme von Unfällen erwarten Verkehrsexperten deswegen nicht. Im flämischen Landesteil wurde in den letzten zehn Jahren bereits ein Drittel der Autobahnbeleuchtung abgeknipst. Auch hier waren die Unfälle nicht signifikant gestiegen.

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Ähnlich wie in Deutschland wird derzeit auch in Belgien gestritten, ob die knappe Stromproduktion nicht auch durch Atomkraftwerke erhöht werden könnte, die eigentlich abgeschaltet werden sollen. In Belgien geht es konkret um den Pannenmeiler Doel 3 in der Nähe von Antwerpen, der in der Nacht zu Samstag abgeschaltet werden soll. Dieser Termin steht eigentlich schon lange fest. Angesichts der Energiekrise wurde aber zuletzt von verschiedenen Seiten gefordert, den Rückbau des Reaktors vorerst auszusetzen, um das Kraftwerk in einer Notsituation wieder hochfahren zu können. Auch Innenministerin Annelies Verlinden von den Christdemokraten hatte angekündigt, dies zu prüfen – was zu Krach innerhalb der Regierungskoalition geführt hatte. Dabei hatte selbst Doel-Direktor Peter Moens gewarnt, ein mögliches Wiederhochfahren wäre „weder weise noch empfehlenswert“. Belgien hatte kürzlich schon den zuletzt für 2025 geplanten Atomausstieg noch einmal um gut ein Jahrzehnt weiter verschoben. Die letzten beiden Reaktoren sollen nun bis 2036 laufen.

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Die Stimmung ist angespannt, auch weil für viele Eigenheimbesitzer die Heizkosten gerade noch stärker explodieren als in Deutschland, unter anderem da Wärmedämmung im Land bislang kaum eine Rolle gespielt hat. Schätzungen zufolge könnten sich die Gasrechnungen für Durchschnittshaushalte versiebenfachen. Einem in dieser Woche veröffentlichten Polit-Barometer mehrerer führender Medien zufolge befürchten 64% der Befragten, dass sie ihre Energierechnungen schlicht und einfach nicht bezahlen können. Die Angst ist am größten unter den 35- bis 51-Jährigen. Das Verbrauchervertrauen in Belgien hat mittlerweile den niedrigsten Stand seit 1985 erreicht.

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Am Mittwoch versammelten sich bereits rund 10000 Menschen in Brüssel zu Protesten. Drei große Gewerkschaftsorganisationen hatten dazu aufgerufen. Es ging vor allem um die Forderung nach weiteren Hilfsmaßnahmen, damit die Energierechnungen ein wenig stärker abgefedert werden können. Das Paket, das die belgische Regierung erst in der vergangenen Woche vorgelegt hatte und das für einen durchschnittlichen Haushalt eine Entlastung von etwa 400 Euro vorsieht, halten nur die wenigsten für ausreichend. Auf der Demonstration wurden eine Übergewinnsteuer und ein Energiepreisdeckel gefordert wie beispielsweise bei den Nachbarn in den Niederlanden. Es werden nicht die letzten Proteste gewesen sein. Fürs Wochenende haben die Gelbwesten weitere Aktionen angekündigt. Und am 9. November ist bereits der nächste Generalstreik geplant.

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