Brüssel

Die Sorgen deutscher Ministerpräsidenten

Wenn die Bundesländer in Brüssel Flagge zeigen, geht es nicht zuletzt um handfeste politische Interessen. Jüngste Beispiele: Winfried Kretschmann, Markus Söder und Stephan Weil.

Die Sorgen deutscher Ministerpräsidenten

Winfried Kretschmann zieht es immer öfter nach Brüssel. Dieser Tage hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident sein gesamtes Kabinett aus Stuttgart mit in die EU-Hauptstadt gebracht. Sein Ziel: Präsenz zeigen und auf höchster Ebene für südwestdeutsche Anliegen werben. „Wir brauchen starke Regionen in Europa, mit leistungsfähigen, innovativen und industriellen Netzwerken“, sagte Kretschmann. Europas Innovationszentren stünden in Brüssel zu wenig im Fokus, und es ist klar, dass Kretschmann damit in erster Linie sein eigenes Bundesland meint. Das müsse man ändern.

Für viele Europäer ist die große Politik in Brüssel weit weg, mit ihrer Lebenswirklichkeit hat sie scheinbar wenig zu tun. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Deutlich wird das beispielsweise im Ausschuss der Regionen, wo Entscheidungsträger von vor Ort EU-Abgeordneten ihre Anliegen nahebringen. So wie neulich, als es um das große Potenzial von Kurzzeitvermietungen à la Airbnb für den Tourismus in ländlichen Gebieten ging. Außerdem stehen unzählige Förderprogramme und milliardenschwere Geldtöpfe bereit, um lokale Vorhaben voranzubringen.

Auch die Landesvertretungen sind schwer bemüht, die Brüsseler Bürokratie für Besonderheiten ihrer Heimatregionen zu sensibilisieren. Mal stehen kulturelle Gepflogenheiten im Vordergrund, wenn beispielsweise die Statthalter aus Nordrhein-Westfalen zur alljährlichen Karnevalsfeier laden („Kostüm erwünscht!“). Nicht selten geht es indes um handfeste politische Interessen, wenn Länder und Regionen in Brüssel Flagge zeigen.

Sie spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, EU-Förderprogramme in die Tat umzusetzen. Zumindest war das bislang so. „Mit Sorge“ beobachtet die baden-württembergische Landesregierung, „dass zentrale neue Investitionsprogramme, insbesondere zur Bewältigung von Krisen, von diesem Prinzip abweichen und keine direkte Beteiligung der Regionen mehr vorsehen“. Das moniert die Landesregierung von Winfried Kretschmann in einem Positionspapier. Auf neun dicht bedruckten Seiten stehen Sätze wie: „Europa wird insgesamt nur stärker werden, wenn auch die stärker entwickelten Regionen stark bleiben.“

Mit Förderinstrumenten wie dem sogenannten Kohäsionsfonds verfolgt die EU in erster Linie das Ziel, abgehängte Regionen zu unterstützen und die Lebensverhältnisse in den 27 EU-Staaten zumindest ein wenig anzugleichen. Kretschmann bricht gewissermaßen mit dieser Maxime, indem er sich für eine stärkere Förderung strukturstarker Regionen einsetzt, die im Wandel stecken. Die Investitionsprogramme der EU müssten mehr „auf Transformationsregionen (wie Baden-Württemberg) ausgerichtet sein“, das Beihilferecht stärker auf sie zugeschnitten sein und der EU-Finanzrahmen ihnen „besser gerecht werden“.

Mit Sorgen um Unternehmen und Arbeitsplätze vor der eigenen Haustür ist Kretschmann nicht allein. Der Grüne hat sich zusammen mit seinen Ministerpräsidentenkollegen aus Bayern und Niedersachsen, Markus Söder von der CSU und Stephan Weil von der SPD, an Bundeskanzler Olaf Scholz gewendet. In dem gemeinsamen Brief geht es um die geplante Abgasnorm Euro7, mit der die EU-Kommission die europäische Autoindustrie aufgeschreckt hat. Deren Machtzentren sind hierzulande bekanntlich über mehrere Bundesländer verteilt – und die Landesväter Kretschmann, Söder und Weil aufgrund des gesamtwirtschaftlichen Gewichts der Branche angemessen alarmiert.

In dem gemeinsamen Brief, aus dem die Deutsche Presse-Agentur zitiert, fordern sie Kanzler Scholz auf, unverhältnismäßige Nachteile für die Branche durch die EU-Regulierung abzuwenden. Autohersteller und Zulieferer hätten sich bereits „auf den unumkehrbaren Weg in Richtung emissionsfreie Antriebe gemacht“. Deshalb dürfe die Abgasnorm Euro7 nicht dazu führen, „dass für die Optimierung einer Technologie, die innerhalb der EU voraussichtlich ab 2035 nicht mehr zugelassen wird, über Gebühr Mittel aufgewendet werden müssen“.

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