Standortpolitik

Ein Recht auf Fortschritt

Der Bau des Flüssiggas-Terminals binnen weniger Monate gilt als Beispiel für hohes Projekttempo in Deutschland. Leider bestätigt die Ausnahme hier nur die Regel.

Ein Recht auf Fortschritt

Steht Deutschland still? Das wohl nicht. Hier und da passiert schon etwas. Zuweilen geht es sogar schnell, wie die Fertigstellung des Tesla-Werks in Grünheide oder des Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven gezeigt haben. Allerdings führen die beiden Beispiele auch schmerzhaft vor Augen, wie gemächlich es üblicherweise zugeht.

Der Fortschritt in Deutschland ist zu oft eine Schnecke – zumindest wenn Politik und Behörden beteiligt sind. Die Stromtrasse Südlink, die ursprünglich in diesem Jahr in Betrieb gehen sollte, um Windstrom von Nord- nach Süddeutschland zu transportieren, ist mittlerweile für Ende 2028 terminiert. Die Pläne zur Digitalisierung der Schulen haben derweil im vergangenen Jahrzehnt mutmaßlich mehr Papier produziert, als ihre Umsetzung je einsparen könnte. Und die Schienen, Straßen und Brücken werden so langsam instand gesetzt, dass die Reparaturen noch nicht einmal mit dem Verfall der übrigen Infrastruktur Schritt halten.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu sinnbildlich, dass die aktuell bekannteste Protestbewegung hierzulande, die „Letzte Generation“, ihren Widerstand dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie sich vorzugsweise an Straßen oder auch anderen Orten festklebt. Als ob noch mehr Lähmung das wäre, wovon Deutschland bzw. die Jüngeren hierzulande noch mehr gebrauchen könnten. Aber es passt zu dem Narrativ, das im vergangenen Jahrzehnt leider zu sehr verfangen hat. Nämlich, dass zu viel Wachstum schlecht und eine Zufriedenheit mit dem Ist-Zustand positiv zu bewerten ist. Es ist ein Narrativ, das zu einer alternden Gesellschaft passt, in der die Zahl derer, die Veränderungen fürchten, schneller wächst als die Zahl derer, die sich Veränderungen wünschen. Schlimmer noch: Die radikalsten unter den rechtsgerichteten Bürgern sind mit dem Ist-Zustand schon überfordert und würden die Uhr am liebsten gleich um Jahrzehnte zurückdrehen.

Das Narrativ hat längst auch in Gesetzgebung und Rechtsprechung seinen Niederschlag gefunden. Das zeigt sich an Bauvorhaben, die sich über Jahre hinziehen, weil immer noch eine weitere Genehmigung einzuholen ist oder eine Klagemöglichkeit ausgeschöpft werden kann. Und so stehen hierzulande unzählige Optionen zur Verfügung, mit denen Veränderungen gebremst werden können, aber nur wenige, die zu einer Beschleunigung führen würden.

Die immerwährende Debatte um Generationengerechtigkeit dreht sich derzeit im Wesentlichen um zwei Punkte: das Klima und die wachsende Verschuldung. Meist werden dabei die falschen Fragen gestellt. Bezogen auf das Klima lautet die Forderung der Klimaschutzbewegung, nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Wer würde dem widersprechen? Leider ergeht sich die Debatte darüber, was nötig wäre, um hier Fortschritte zu erzielen, in Nebensächlichkeiten. Forderungen wie eine Wiederbelebung des 9-Euro-Tickets oder ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen sind in ihrer Einfallslosigkeit erschütternd. Doch statt dies auf die vermeintliche Infantilität der Protestierenden zu schieben, sollten wir uns eher fragen, ob der geringe Anspruch vielleicht auch daher rührt, dass selbst die jungen Revoluzzer Deutschland keine großen Würfe mehr zutrauen.

Wenn beispielsweise eine deutsche Stadt zur Fahrradstadt werden wollte wie Kopenhagen: Wäre das mit der deutschen Verwaltung und den Bauvorschriften überhaupt umsetzbar? Und wenn ja, wie viele Jahrzehnte würde es wohl dauern? Wenn ein anderes Ziel ist, Immobilien CO2-neutraler zu machen: Warum belohnt man diesbezügliche Fortschritte nicht und überlässt den Weg dahin der Kreativität und Innovationskraft des Marktes? Stattdessen werden nur neue Ver- und Gebote formuliert, die mitunter dazu führen, dass von Modernisierungen ganz abgesehen wird, weil diese sich wegen zu enger Vorgaben und der dafür unpassenden Gegebenheiten vor Ort nicht rechnen.

Was die Jungen also wirklich fordern sollten, ist ein Recht auf Fortschritt. Denn das Recht auf Stillstand, das in vielen Bereichen vorherrscht, sorgt nicht nur dafür, dass notwendige Anpassungen verzögert werden. Es macht diese auch dramatisch teurer. Das wiederum hat zur Folge, dass mit jedem Kampf um selbst kleinste Fortschritte der finanzielle Spielraum künftiger Generationen weiter eingeengt wird. Das können wir uns wahrlich nicht leisten.

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