Notiert inLondon

Eltern sind erfinderisch

Das Vorhaben der Labour Party, Schulgebühren mit 20% Mehrwertsteuer zu belegen, wird den Konkurrenzkampf um Plätze an den besten öffentlichen Schulen noch härter machen.

Eltern sind erfinderisch

Notiert in London

Eltern sind erfinderisch

Von Andreas Hippin

Wer nach sozialem Ausgleich strebt, hat nicht immer im Blick, welche Folgen die dafür vorgeschlagenen Maßnahmen haben können. Die britische Labour Party will 20% Mehrwertsteuer auf die Gebühren von Privatschulen erheben, wenn sie die kommenden Unterhauswahlen gewinnt. Das würde nach einer naiven Berechnung des Institute for Fiscal Studies 1,6 Mrd. Pfund zusätzlich in die öffentlichen Kassen spülen, mit denen sich das marode staatliche Bildungswesen stützen ließe.

Viele Ausweichmöglichkeiten

Natürlich ist es ungerecht, dass mehr Absolventen von Privatschulen einen Studienplatz in Cambridge und Oxford bekommen als solche des öffentlichen Bildungswesens. Dieses Problem löst man aber nicht dadurch, dass man wohlhabendere Eltern zur Kasse bittet. Zumal es für sie Möglichkeiten gibt, ihrem Nachwuchs auf andere Weise einen Vorteil im Kampf um die beste Ausbildung zu verschaffen. Eltern sind erfinderisch.

Wiederentdeckter Glauben

Nicht wenige werden ihren Glauben wiederentdecken und die konfessionellen Schulen ansteuern. Manche Kirchen legen Listen aus, in die sich die an einem Empfehlungsschreiben interessierten Papas und Mamas eintragen können. Dann muss jede Woche beim Besuch der Messe unterschrieben werden. So bekommt der Pfarrer die Bänke gefüllt, zumindest bis zum Ende der Anmeldefrist. Er lernt auch seine Schäfchen kennen. Denn in Großbritannien werden die Gläubigen noch mit Handschlag verabschiedet.

Ökosystem von Dienstleistern

Und dann gibt es noch die öffentlichen Gymnasien. Eigentlich sollten sie Kindern aus einfachen Verhältnissen den Weg nach oben bahnen. Mittlerweile sind ihre Aufnahmekriterien so streng, dass sich ein Ökosystem aus Anbietern von Nachhilfe, Beratung und Coaching entwickelt hat. Der Andrang ist so groß, dass Kindern, die auf die „11+“-Eingangsprüfungen vorbereitet werden sollen, bereits dafür ein Aufnahmetest abverlangt wird, wie Nicola Woolcock, die Bildungsexpertin der „Times“, berichtet.

Noch weniger Zugang für sozial Schwache

Die Mehrwertsteuerpläne, die den Besuch einer Privatschule um ein Fünftel teurer machen, werden noch mehr Eltern in diese Richtung treiben. Die Gefahr besteht, dass der Zugang zu öffentlichen Gymnasien dadurch so erschwert wird, dass nur noch Sprösslinge aus Familien zum Zug kommen, die sich die bis zu 70 Pfund pro Stunde für einen privaten Tutor leisten können.

Nachhilfe für Arme?

Eigentlich müsse man Kindern aus sozial benachteiligten Familien um die 20 Stunden Nachhilfe bezahlen, weil man die gut verdienenden Haushalte nicht davon abhalten könne, es zu tun, zitiert Woolcock den Gründer des gemeinnützigen Sutton Trust, Peter Lampl. Die Armen wären die Verlierer. Das wäre das erstaunliche Ergebnis des gut gemeinten Vorhabens der größten Oppositionspartei.

Jede Menge Mehrkosten

Würden durch die Besteuerung tatsächlich nennenswerte Mehreinnahmen der öffentlichen Hand zusammenkommen? Wohl kaum. Denn das staatliche Bildungswesen müsste die Kinder aufnehmen, deren Eltern sich die Privatschule nicht mehr leisten können. Und das kostet.

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