Brüssel

Endlich Sommerpause

In einer ungewöhnlich nachdenklichen Stimmung hat in Brüssel die diesjährige Sommerpause begonnen. Der belgische König Philippe beschwor seine Landsleute, angesichts von Krieg und Inflation nicht den Zusammenhalt zu verlieren.

Endlich Sommerpause

In Brüssel ist relativ klar zu benennen, wann das EU-Viertel die politische Sommerpause einläutet: Üblicherweise ist es der belgische Nationalfeiertag am 21. Juli, der der EU-Kommission das Signal gibt, in den Stand-by-Modus zu schalten, die Kommissare von ihren wöchentlichen Sitzungen im Berlaymont-Gebäude oder in Straßburg befreit sowie die regelmäßigen Ministerräte der Mitgliedstaaten für einige Wochen aussetzt. In diesem Jahr sind es lediglich die EU-Energieminister, die aus gegebenem Anlass noch einmal nachsitzen und am Dienstag zu einer außerordentlichen Sitzung nach Brüssel reisen müssen, um den Gas-Notfallplan für den Winter zu beraten. Auch EU-Abgeordnete trifft man nach dem 21. Juli nur noch selten in der Stadt, was aber auch daran liegt, dass sich ohnehin nur wenige von ihnen wirklich auf ein Leben in Brüssel einlassen. Die meisten Abgeordneten – zumindest die deutschen – verbringen ja eher eine Vier-Tage-Arbeitswoche inklusive Hotelübernachtungen in der Stadt, um dann schnell wieder in Richtung Wahlkreis und Familie abzudüsen.

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Wie viele deutsche EU-Abgeordnete vor ihrem Urlaub oder der Rückkehr in die Heimat schon einmal an den Partys zum belgischen Nationalfeiertag teilgenommen haben, ist ungewiss. Lohnen würde sich ein solcher Besuch aber auf jeden Fall, sind die Feierlichkeiten in der Brüsseler Innenstadt doch immer von einer ungewöhnlichen Melange aus Pomp, Pathos und Straßenkarneval gekennzeichnet, die den 3.-Oktober-Veranstaltungen zum Tag der Deutschen Einheit üblicherweise eher abgehen. Natürlich fehlen auch in Belgien nicht die üblichen Volksbelustigungen, Konzerte und Feuerwerke. Aber hier gibt es immerhin auch noch eine Königsfamilie, die vor ihrer Sommerresidenz in die Menge winkt. Und es gibt natürlich auch noch die jährliche Militärparade, bei der Panzer durch die Stadt rollen und am Himmel die Jagdflieger ihre Runden drehen. Für den gemeinen Deutschen war dies in der Vergangenheit sicherlich ein eher exotisches Spektakel gewesen. Angesichts des Krieges in der Ukraine hatte die Parade in diesem Jahr ihre Exotik aber verloren. Fröhlicher geht es ohnehin im Marollen-Viertel zu, wo auf dem Place du Jeu de Balle am Donnerstag wieder für einige Stunden das „Resto National“ eröffnete, eine Art Freiluftrestaurant, in dem nur das belgische Nationalgericht „Moules Frites“ serviert wird. Diese Szenerie, in der dann viele hundert Menschen auf Bierbänken nebeneinander sitzen und unter Landesfähnchen ihre 1,1-Kilogramm-Töpfe Muscheln auslöffeln und dazu Pommes essen (Menüpreis in diesem Jahr: 29 Euro), dürfte auch viele Kritiker wieder versöhnen, die auf Belgien als einen „failed state“ schimpfen.

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Der belgische König Philippe ließ es sich am Donnerstag nicht nehmen, seine Landsleute noch einmal auf Zusammenhalt einzuschwören. Der 62-Jährige, der den Thron am Nationalfeiertag 2013 bestiegen hatte, irritierte zunächst, weil er seine Rede mit einem Blick auf die Pandemie begann. In diesem Sommer sei endlich die Freiheit zurück, behauptete er. Das Leben gehe wieder seinen gewohnten Gang, die Wirtschaft nehme Fahrt auf, und es sei wieder Wachstum in Sicht. – An dieser Stelle fragte sich der ein oder andere Zuhörer schon, in welcher Blase der Monarch so lebt angesichts von auch in Belgien wieder steigenden Infizierten-Zahlen und Rezessionsängsten. Es sollte aber wohl der Versuch sein, etwas Optimismus zu schüren angesichts der neuen Herausforderungen. Denn Philippe befürchtet, dass die Auswirkungen des Krieges, die hohen Energie- und sonstigen Lebenshaltungskosten sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft schwächen werden. Man müsse unbedingt vermeiden, dass die Kluft zwischen Arm und Reich größer werde. Die Menschen müssten „unerschütterliches Vertrauen in die Demokratie“ haben. „Unser Gesellschaftssystem, das auf Solidarität und Integration beruht, kann die neuen Schocks auffangen“, beschwor der König seine Landsleute und entließ sie ebenso wie die EU-Politik mit ungewöhnlich nachdenklichen Worten in die diesjährige Sommerpause.

               (Börsen-Zeitung,

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