Tokio

Fukushima und kein Ende

Die Zahl der Stahltanks mit kontaminierter Wassermenge haben sich in den vergangenen Jahren so stark vermehrt, dass es auf dem AKW-Gelände spätestens im Sommer 2022 keinen Platz mehr für neue Speicher gibt.

Fukushima und kein Ende

Als eine ihrer letzten Amtshandlungen vor den Neujahrsfeiertagen haben die zuständigen Kabinettsminister einen „Aktionsplan zur Umsetzung der Einleitung von Tankwasser in den Pazifik“ beschlossen. Gemeint sind die 1,3 Mill. Tonnen kontaminiertes Wasser im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi, die ab dem Frühjahr 2023 im Meer verklappt werden sollen. Das gespeicherte Wasser stammt entweder aus dem Kühlkreislauf für die geschmolzenen Kernbrennstoffe in den drei zerstörten Reaktoren oder es handelt sich um kontaminiertes Grundwasser, das aus den undichten Kellern der Atomanlage gepumpt werden musste. Täglich fallen aus beiden Quellen zusätzliche 140 Tonnen an verstrahltem Wasser an.

Die inzwischen über 1000 gewaltigen Stahltanks mit einer Wassermenge, die 520 Olympia-Swimmingpools füllen würde, haben sich in den vergangenen Jahren so stark vermehrt, dass es auf dem AKW-Gelände spätestens im Sommer 2022 keinen Platz mehr für neue Speicher gibt. Zwar hat der Staat inzwischen sämtliche Flächen, die direkt an die Atomanlage angrenzen, aufgekauft, um dort strahlende Überreste der Dekontaminierung zwischenzulagern. Dort könnte man noch mehr Tanks aufstellen. Nur kostet der Unterhalt der Wasserspeicher schon jetzt jährlich 100 Mrd. Yen (770 Mill. Euro). Die Einleitung ins Meer wäre daher viel kostengünstiger, als immer mehr Tanks zu bauen. Sie würde sich allerdings über drei Jahrzehnte hinziehen. Deswegen kann es kaum überraschen, dass der Fernsehsender NHK von anhaltend großem Widerstand im In- und Ausland gegen das Vorhaben berichtete.

Der Aktionsplan sieht vor, lokale Industrien in Fukushima wie Fischerei, Tourismus und Landwirtschaft für geschäftliche Einbußen infolge „schädlicher Gerüchte“ zur radioaktiven Kontaminierung zu entschädigen. Zugleich hofft die Regierung auf eine positive Bewertung durch die Wiener UN-Atomenergiebehörde (IAEA). Deren Experten sollen prüfen, ob die Wassereinleitung internationalen Sicherheitsstandards entspricht. Auf diese Weise will Tokio das Verständnis der Nachbarstaaten Südkorea und China sowie der internationalen Gemeinschaft gewinnen. Allerdings wurde der für Dezember geplante Ortstermin für das IAEA-Team wegen der Corona-Pandemie auf Januar oder noch später verschoben.

Bereits vor Weihnachten hatte Tepco als Betreiber der havarierten Atomanlage bei der Atomaufsichtsbehörde NRA eine Genehmigung für die Vorbereitung der Verklappung beantragt. Schon ab Juni will man einen Abflusstunnel im felsigen Meeresuntergrund verlegen; die Austrittsöffnung im Boden soll einen Kilometer von der Küste entfernt sein. Die erlaubte Zone für Fischerei beginnt allerdings schon 500 Meter weiter. Zudem ist ein Pumpenwerk für Pazifikwasser geplant. Denn Tepco will die Tankinhalte mit Unmengen Meerwasser verdünnen, damit die zu verklappende Flüssigkeit weniger als 1500 Becquerel pro Liter Strahlung enthält. Dadurch will der Stromversorger die Umweltfolgen minimieren.

Diese Strahlung ist das eigentliche Problem. Ein Drittel des gespeicherten Wassers wurde nach Angaben von Tepco bereits bis unter die Grenzwerte gesäubert, aber zwei Drittel müsste man ein zweites Mal filtern. Selbst dann enthält das Wasser noch diverse Radionuklide, darunter Strontium-, Caesium-, Iod- und Kobalt-Isotope. Radioaktives Tritium und Carbon-14 entfernt das Filterwerk ALPS auf dem AKW-Gelände gar nicht. Die geplanten Meerwasserpumpen können das Tankwasser um mehr als das Hundertfache verdünnen. Doch Greenpeace hält eine Verdünnung um das 360000-Fache auf 187 Millionen Olympia-Schwimmbäder für notwendig, damit das Wasser die internationalen Grenzwerte einhält.

Damit nicht genug: Der hoch radioaktive Schlamm, den die ALPS-Anlage aus dem Wasser holt, füllt inzwischen fast 3400 Fässer. Der Schlamm strahlt so extrem, dass diese Fässer nur wenige Jahre dicht bleiben. Doch Tepco verfügt nicht über die technischen Mittel, um die alten Behälter ferngesteuert zu öffnen und den Inhalt sicher in neue Fässer umzufüllen. Alternativ möchte der Betreiber den Schlamm trocknen. Aber bisher existiert nicht einmal eine Blaupause für eine solche Technik.