Neobroker

Gamestop hat die Spielregeln am Aktienmarkt verändert

Gamestop. Selten war der Name einer Aktiengesellschaft so treffend. Fragt sich nur, wessen Spiel gestoppt wurde? Ein gewaltiger Orkan ist Ende Januar über die Aktienmärkte gezogen, mit vielen Twists und zwischenzeitlich fehlender Sicht. Nun liegen...

Gamestop hat die Spielregeln am Aktienmarkt verändert

Gamestop. Selten war der Name einer Aktiengesellschaft so treffend. Fragt sich nur, wessen Spiel gestoppt wurde? Ein gewaltiger Orkan ist Ende Januar über die Aktienmärkte gezogen, mit vielen Twists und zwischenzeitlich fehlender Sicht. Nun liegen einige Börsentraditionen in Trümmern und die Trading-Branche macht sich an die Aufräumarbeiten.

Dabei ist der Hype um das – kriselnde – Unternehmen Gamestop nicht isoliert zu betrachten. Die Grundlagen für dieses Naturschauspiel wurden schon vor Jahren gelegt. Kern der dramatischen Veränderung ist die Dynamik der Digitalisierung: mit raschem Informationsaustausch durch Social Media und Social Trading, Fintechs als neuen Marktteilnehmern und innovativen Produkten und Transaktionsmöglichkeiten. Der Krypto-Hype im Jahr 2017 war der Auslöser der jetzigen Situation. Eine Community legte den Grundstein für ein globales Finanzsystem und etablierte eine eigene Assetklasse.

Zugang noch nie so einfach

Durch Corona – viele Leute saßen zwangsweise zuhause fest – strömten Millionen von Neuanlegern in den Markt. Der Zugang zum Börsenhandel war nie so einfach. Eine gewichtige Rolle spielen dabei Fintechs und Neobroker. Sie machen es kinderleicht – oft nur durch einen Wisch – Finanzprodukte zu kaufen und zu verkaufen. Einen zusätzlichen Anreiz bieten die extrem niedrigen bis abgeschafften Gebühren. All dies sorgt für einen raschen Umschlag von Aktien – wobei es allerdings bei dem Gamestop-Papier zunächst um das Halten ging.

Die Community für Aktien und Finanzen bildet jetzt für viele den sozialen Mittelpunkt. Es ist völlig normal geworden, über Aktien und Assets zu sprechen. Gerade Bitcoin wurde zum großen Partythema und hat weder etwas von Nerd noch von Nadelstreifenanzug. Der Mix aus Social Networking und Investieren wird sogar zunehmen.

Apropos Schlips und Kragen. In Zukunft werden eben nicht mehr Hedgefonds-Manager mit Harvard-Abschluss entscheiden, wer Geld verdient. Sondern anonyme Mitspieler. „Roaring Kitty“, im wirklichen Leben Keith Gill, der den Gamestop-Hype auf der Plattform Reddit losgetreten hat, kann einer der gefragtesten Stock Picker des Jahres werden. Ihnen kommt eine gewaltige Macht zu, deren Auswirkungen nicht abzusehen sind.

Regulierungsbehörden, zumal amerikanische, werden allerdings nicht tatenlos zusehen. Zumindest werden sie versuchen, einzugreifen. Sie wissen aber noch nicht, wie. Denn eine Community kann man eigentlich nicht regulieren. Und genau das wird ein riesiges Problem für die Wall Street & Co. Die althergebrachten Spielregeln wurden zwar nicht geändert, wohl aber die Möglichkeit, den Verlauf von Kursen zu antizipieren oder gar zu beeinflussen. Es ist nun eine Gleichung mit noch mehr Unbekannten, und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Es sind neue, durch die schiere Masse und Absprache untereinander mächtige Akteure auf den Plan getreten. Die Community ist zum milliardenschweren Markteilnehmer geworden, der Kurse mitdiktieren wird.

Die Stunde null war 2017

Wir sind also in einer neuen Ära angekommen. Die Neobroker-Branche hat es schon lange gesagt und gelebt, dass Social Media und Investieren zusammenkommen. Bis vor vier, fünf Jahren war es noch verpönt, offenherzig seine Investments und Vermögen auszubreiten – zumal gegenüber fremden Leuten. Informationen waren versteckt. Man brauchte viel Geld und die richtigen Zugänge, um professionell am Finanzmarkt teilzunehmen. Das hat sich drastisch verändert.

Die Finanzkrise 2008 hatte das Vertrauen in die Banken- und Finanzwelt erschüttert. Es war die Geburtsstunde von Krypto und Fintechs. Sie haben die Akzeptanz dafür gestärkt, in einer Masse und online Vermögen und Investments zu verwalten. Erst 2014/2015 bemerkte man diese erfolgreichen Start-ups, von denen viele heute noch aktiv sind, und es entstand ein Hype.

Neue Assetklasse geschaffen

Im Jahr 2017 schließlich begann der Wirbel um Bitcoin und andere Kryptowährungen. Dieses Ereignis ist zentral dafür, um zu verstehen, was heute passiert. Denn hier wurde die Grundlage für ein globales Finanzsystem gelegt, und zwar durch eine urdemokratische Gemeinschaft, und eine eigene Assetklasse geschaffen. Die vor allem kommunikativen Voraussetzungen waren also da, als in Corona-Zeiten die neue Trägerrakete gezündet wurde: Millionen Mittelklasse-Menschen – mit Geld und kaum Möglichkeiten, es auszugeben – hatten nun viel Zeit, sich mit Finanzfragen auseinanderzusetzen. Das Bewusstsein für Aktien und die Kraft der Gemeinschaft, diese zu bewegen, ist dadurch gestiegen.

Dass Millionen von Neuanlegern in den Markt strömen, ist kein Hype mehr, sondern ein Megatrend. Das wird das Jahrzehnt der Finanzdienstleistungsfirmen. Wir werden noch viele Neulinge sehen. Aber alle, die schon da sind, werden enorm profitieren. Neobroker bilden hier das ideale Sprungbrett. Mit Funktionen wie Copy oder Social Tradings vereinen Anbieter das, was Robinhood mit Reddit vorgelebt haben, bereits in einer Plattform.

Informationsaustausch ist dabei nur das eine. Wie wir bei Gamestop gesehen haben, geht es auch darum, an einem Strang zu ziehen und durchzuhalten (so zweifelhaft die Motive auch gewesen sein mögen, zumal unabhängig von Fundamentaldaten). Neobroker sind das Werkzeug, um diese Macht zu entfalten. Beim Marktverhalten, wie wir es kannten, wird kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Gleichzeitig wird der Aktienhandel so selbstverständlich wie Online-Shopping. Es wird Teil des Alltags – und für viele auch ein Spiel und eine Wette.

Benjamin Bilski ist Gründer und CEO der Social-Trading- und Investing-Plattform Naga.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.