KommentarSorgfaltspflichten

Hang zur Panikmache beim EU-Lieferkettengesetz

Gewisse Sorgen im Mittelstand über das EU-Lieferkettengesetz sind durchaus berechtigt. Manche Pauschalkritik aus der Wirtschaft überschreitet aber die Grenze zum Populismus.

Hang zur Panikmache beim EU-Lieferkettengesetz

EU-Lieferkettengesetz

Hang zur Panikmache

Von Stefan Reccius

Wirtschaftsverbände treibt die Einigung zum EU-Lieferkettengesetz auf die Barrikaden. Ihre aufgebrachten Reaktionen suggerieren, der wirtschaftliche Untergang des Abendlandes stünde bevor. Das ist natürlich übertrieben und kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Es ist ratsam, innezuhalten und sachlich zu sortieren, was berechtigte Sorge und was Panikmache ist.

Fakt ist: Die europäischen Vorschriften gehen über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Die Bundesregierung wird es also beizeiten verschärfen müssen. Das gilt für den Adressatenkreis: Die ab Januar geltende Schwelle von 1.000 Beschäftigten wird weiter abgesenkt, auf 500. Und es gilt auch für die Substanz: Unternehmen müssen sich zum Beispiel auf eine zivilrechtliche Haftung einstellen.

Für Zehntausende europäische Unternehmen bedeuten die Sorgfaltspflichten Zumutungen. Korrekt. Sie verfolgen einen bestimmten Zweck: Der Zerstörung von Umwelt und Menschenleben Einhalt zu gebieten. Wirtschaftsvertreter halten diese Werte demonstrativ hoch. Solche Beteuerungen lassen sich nicht zum Nulltarif mit Leben füllen. Deshalb kommt es darauf an, dass die Zumutungen in einem vernünftigen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen.

Drei Aspekte sind dabei zentral. Erstens: der Mittelstand – allen voran Unternehmer mit weniger als 500 Beschäftigen, die gerade NICHT unter das EU-Lieferkettengesetz fallen. Wenn sich herausstellt, dass größere Unternehmen ihren kleineren Zulieferern die Sorgfaltspflichten aufdrücken, hat der Gesetzgeber versagt. EU-Industriekommissar Thierry Breton hat Mittelständlern technische und finanzielle Hilfe bei der Umsetzung angeboten. Das darf kein Lippenbekenntnis bleiben.

Zweitens: Ein angeblich drohender Exodus aus sensiblen Weltregionen. Sollten sich Unternehmen scharenweise zurückziehen, liefe das Lieferkettengesetz ins Leere. Die Kollateralschäden überwögen. Drittens: Doppelte Berichtspflichten. Beteuerungen, dass die Sorgfaltspflichten in Einklang mit bestehenden Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung stehen, dürfen sich nicht als leeres Versprechen herausstellen.

Auf diese Bedenken hinzuweisen, ist legitim. Manche Pauschalkritik schießt aber übers Ziel hinaus. Die Ansicht des Industrieverbands BDI, der Kompromiss „bedrohe“ Europas Wirtschaft, mag noch im Graubereich sein. Thilo Brodtmann vom Maschinenbauverband VDMA spricht dagegen vom „nächsten Sargnagel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“. Das ist, mit Verlaub, Lobby-Populismus.