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In der Sackgasse

Die turbulente Entwicklung der Gamestop-Aktie hat eine hitzige Debatte über Marktmissbrauch entfacht – und wie man ihn verhindern kann. Dabei ist das Beispiel Game­stop nur die Spitze des Eisbergs. Die Ineffizienz in der Zusammenarbeit und...

In der Sackgasse

Die turbulente Entwicklung der Gamestop-Aktie hat eine hitzige Debatte über Marktmissbrauch entfacht – und wie man ihn verhindern kann. Dabei ist das Beispiel Game­stop nur die Spitze des Eisbergs. Die Ineffizienz in der Zusammenarbeit und Abstimmung von Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden, um Marktmissbrauch konsequent zu begegnen, ist ein strukturelles Problem. Der Schlüssel zu integren Finanzmärkten liegt im internationalen Austausch und dem Wissenstransfer im Umgang mit Verstößen – und auch in der Überwachungstechnologie.

Unkoordinierte Insellösungen

Grundsätzlich haben alle Marktteilnehmer aufgrund rechtlicher Vorgaben wie der Market Abuse Regulation (MAR) die Verpflichtung, Marktmissbrauch aufzudecken. Damit stehen Finanzdienstleister wie Banken, Eigenhändler und Börsen und die Aufsichtsbehörden in der Pflicht, Überwachungssysteme einzusetzen und zusätzliche Vorkehrungen zu treffen, um potenzielle Verstöße zu entdecken, zu melden und bestenfalls zu verhindern. Dabei denken sie allerdings in erster Linie daran, sich abzusichern, nach dem Grundsatz „cover my ass“. Das führt zu Insellösungen, die technisch und inhaltlich so wenig aufeinander abgestimmt sind wie das Vorgehen der Marktteilnehmer selbst. Bei der Bekämpfung von Marktmissbrauch ist Interoperabilität ein Fremdwort.

Marktmissbrauch folgt selten dem gleichen Muster. Die Kreativität der Täter scheint grenzenlos zu sein, genauso wie der Spielraum, um Überwachungssysteme ins Leere laufen zu lassen. Compliance-Abteilungen, die bestenfalls wissen, was in ihrem Unternehmen vorgeht, nicht aber das gesamte Marktverhalten im Blick haben können, werden mit dieser Situation meistens alleine gelassen. Aber auch Aufsichtsbehörden fehlt dieser Überblick. Leider gibt es sowohl zwischen den Marktteilnehmern als auch zwischen den Aufsichtsbehörden keinen kontinuierlichen und umfassenden Austausch: Man trifft sich gelegentlich bei Fachkonferenzen, von konkreten Missbrauchsfällen erfährt man im Nachhinein aus Jahresberichten.

Das Problem ist nicht neu und leider auch hausgemacht: Es gibt strenge Datenschutzvorschriften, die eine dringend notwendige Vernetzung von Informationen bei der heute verwendeten Technologie unmöglich machen. Darüber hinaus herrscht zwischen Industrie und Aufsicht ein Misstrauensverhältnis, genauso wie zwischen den wenigen Anbietern kostspieliger Softwarelösungen, die sich naturgemäß nicht in die Karten schauen lassen. Äußerst problematisch ist auch der Wettbewerb zwischen den Aufsichtsbehörden: Die Zahl der Fallmeldungen wird innerhalb einer Jurisdiktion als Indikator für die Qualität und Effizienz der Arbeit einer Behörde angesehen. Dadurch ist ein Wettrennen um den besten Platz in der Rangliste entbrannt, zu Lasten einer effizienten Überwachung.

Der bisher eingeschlagene Weg ist eine außerordentlich teure Sackgasse. Alle Marktteilnehmer geraten in die Kostenfalle, weil jeder versucht, regulatorischen Anforderungen auf eigene Faust nachzukommen. Die Aufsichtsbehörden werden schon heute von einer Unmenge an Fallmeldungen überrannt. Denn die Marktteilnehmer, die ihnen verpflichtet sind, überschütten sie alleine schon aus Selbstschutz mit Verdachtsmeldungen. Die Aufsicht ist dadurch gezwungen, in ihrer Prüfung Schwerpunkte zu setzen, so dass potenzielle Missbrauchsfälle übersehen und nicht geahndet werden können.

Viele denken, die Lösung dieses Dilemmas liege in der künstlichen Intelligenz (KI) und glauben, man könne die Identifikation missbräuchlicher Handelsmuster Maschinen überlassen. Doch die Hoffnung, dass KI das Allheilmittel sei, ist in der vorherrschenden Systemlandschaft ein Irrweg: Maschinelles Lernen braucht eine Vielzahl von validierten Beispielfällen. Die Tatsache, dass jeder Marktteilnehmer für sich vorgeht, also jede Maschine isoliert Wissen anhäufen müsste, führt dazu, dass es überhaupt nicht genügend Fälle gibt, um die Maschinen „anzulernen“. Das trifft insbesondere für kleinere Marktteilnehmer zu und wiegt die größeren in einer fragwürdigen Sicherheit.

Unverständliche Definitionen

Diejenigen, die aufsichtsrechtliche Vorgaben umsetzen müssen, verzweifeln an unspezifischen und unverständlichen Definitionen. Was im europäischen Konsultationsprozess auf Englisch noch verständlich ist, wird meist mit nationaler Übersetzung und Umsetzung unverständlich. In der praktischen Handhabung der rechtlichen Vorgaben sind damit erhebliche Missverständnisse und Fehler unvermeidbar. Doch die Frage, was unter den aufsichtsrechtlichen Vorgaben letztlich inhaltlich zu verstehen ist, traut sich kaum einer zu stellen.

Um Marktmissbrauch erfolgreich zu begegnen, braucht es ein Umdenken und eine neue Herangehensweise. Überwachungstechnologien und Verfahren zur Erkennung auffälliger Handelsmuster müssen offen und für Dritte überprüfbar sein. Eine weitere Voraussetzung für den notwendigen Wandel ist, dass Überwachungssysteme miteinander kommunizieren. Diese interoperable, offene Technologie mit einer inhärenten Unveränderlichkeit wäre zudem eindeutig revisionssicher. Die Verwendung neuer Technologien und nichtproprietärer Komponenten senkt außerdem die regulatorischen Gesamtkosten. Doch Technologie ist nicht alles: Wichtig ist die Bereitschaft aller Marktteilnehmer, schnell und regelmäßig in einen Dialog einzutreten. Nur so werden sich regulatorische Achterbahnfahrten wie die von Gamestop nicht wiederholen. Das sollte im Interesse aller Beteiligten sein, um verlorenes Vertrauen der Gesellschaft in den Finanzmarkt und seiner Akteure zurückzugewinnen.

Michael Zollweg ist Rechtsanwalt und war bis Ende 2019 Leiter der Handelsüberwachungsstelle der Frankfurter Wertpapierbörse und der Eurex.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.