Tourismus

Jeder will reisen

Die Deutschen wollen reisen, doch angesichts steigender Kosten könnte es für manchen unerschwinglich werden. Inflation und die explodierenden Energiepreise drücken auf die Stimmung in der Tourismuswirtschaft.

Jeder will reisen

Krieg und Reisen sind das Gegenteil voneinander“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich auf dem Hauptstadtkongress des Deutschen Reiseverbandes (DRV) in Berlin. Das Gegenbild zum Krieg bildeten Weltoffenheit, Toleranz und Horizonterweiterung – dafür stehe die Reisebranche. „Deswegen muss sie unterstützt, gestärkt und erhalten werden“, sagte Habeck. Die Frage sei, wie es angesichts der hohen Energiepreise und Inflation ökonomisch für die Tourismusunternehmen weitergehe. „Da schwant einem in vielerlei Hinsicht nichts Gutes, wenn die Menschen ihr Geld zusammenhalten“, so der Wirtschaftsminister.

Doch als habe die Branche die mahnenden Worte des Ministers nicht gehört, bleiben manche Unternehmen zuversichtlich. So geht etwa der Chef der Fluggesellschaft Condor, Ralf Teckentrup, davon aus, dass er auch in den kommenden Monaten trotz rekordhoher Ticketpreise ein gutes Geschäft machen wird. Der Nachholbedarf nach der Pandemie sei noch nicht gestillt, „und viele, die sich bisher eine Reise geleistet haben, werden das auch künftig trotz der hohen Inflation tun“, zeigte sich der Condor-Chef kürzlich bei einer Veranstaltung in Frankfurt optimistisch. Ins gleiche Horn stößt der Chef des Frankfurter Flughafens, Stefan Schulte: „Jeder will fliegen.“ Die beiden Manager könnten sich allerdings vorstellen, dass die Verbraucher beim Urlaub an anderer Stelle sparen, etwa indem auf günstigere Zielgebiete oder preiswertere Hotels ausgewichen wird oder der Aufenthalt von früher 14 auf 10 Tage verkürzt wird. Das kann den Fluggesellschaften schnuppe sein, dürfte aber für den Rest der Reisekette geringere Einnahmen zur Folge haben.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die deutsche Tourismusindustrie insgesamt laut einer Sonderauswertung der DIHK-Konjunkturumfrage Herbst 2022 mit Blick auf die kommenden Monate durchaus Ängste hegt. Zwar sei das Sommergeschäft in weiten Teilen gut gewesen, doch die Erwartungen fallen eher trübe aus. Die größten Sorgen machen sich der Umfrage zufolge Unternehmen der Gastronomie und aus dem Beherbergungsgewerbe. Die Erwartungen für 2023 rutschten hier auf Tiefstwerte und liegen teilweise sogar unter denen zu Beginn der Pandemie.

Auch die eigene Finanzlage wird von vielen Unternehmen eher kritisch eingeschätzt. Knapp 50% der insgesamt befragten 24000 touristischen Firmen beschreiben ihre finanzielle Situation als problematisch, jeder zehnte Betrieb im Beherbergungsgewerbe sieht sich sogar von Insolvenz bedroht.

Angst vor der nächsten Krise

„Die Reiselust der Deutschen ist da, aber Inflation und explodierende Energiepreise sind Gift – für die Volkswirtschaft und für uns als Reisewirtschaft“, sagt der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig. Die Bundesregierung müsse dafür Sorge tragen, dass Energie und Mobilität auch für Durchschnittsverdiener bezahlbar bleiben, „sonst rutschen wir von der einen in die nächste Krise“. Zuversichtlich zeigt sich Fiebig dennoch, was das kommende Jahr betrifft: „Ich bin sicher, wenn Geld da ist, wird auch gereist werden und die Deutschen werden auch 2023 ihre Urlaubspläne verwirklichen.“ Von der Politik fordert er zusätzliche Maßnahmen zur Stimulierung der Konsumnachfrage: „Der Wille zu Reisen ist da – die Politik darf die Nachfrage nicht abwürgen.“ Die entscheidende Frage für die Reisenachfrage sei, „wie viel die Leute noch im Portemonnaie haben“. Vermutlich wird es weniger sein als bisher, was Verbrauchern am Ende fürs Reisen bleibt, denn allein für Gas müssen Familien mit Einfamilienhaus pro Jahr fast 600 Euro mehr einplanen, hat das Onlinevergleichsportal Verivox berechnet.

Auch die Reisewirtschaft dürfe die Augen nicht vor den aktuellen Entwicklungen verschließen: „Steigende Kosten werden trotz aller Bemühungen der Reiseveranstalter teilweise zu steigenden Preisen führen, da geht perspektivisch kein Weg dran vorbei.“ Weniger in den Haushaltskassen bei gleichzeitig steigenden Reisepreisen, die Rechnung geht vermutlich nicht auf. Fiebig formuliert es weniger deutlich und mit einem Fragezeichen versehen: Es bleibe abzuwarten, wie sich in dieser Situation die Konsumneigung der Deutschen entwickele und wie hoch das frei zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen sein werde. Es sei zum jetzigen Zeitpunkt kaum möglich, eine verlässliche Prognose für das kommende Jahr abzugeben. Das sei auch deshalb so schwer, weil die Kunden immer kurzfristiger buchen würden. Zudem seien die deutschen Urlauber sehr preissensibel. „Wird ein Zielgebiet zu teuer, wenden sie sich einem günstigeren zu.“

Für den kommenden Winterurlaub gibt es indes auf der Preisseite erst einmal Entwarnung. Trotz hoher Inflationen und stark gestiegener Kosten wird der Urlaub in diesem Winter kaum teurer werden. „Die Reisepreise sind in diesem Winter keine Inflationstreiber“, sagte Stefan Baumert, Chef der Tui Deutschland, bei der Vorstellung des Winterprogramms. „Die jetzige Inflation und die steigenden Energiepreise werden sich nicht vollumfänglich auf die Preise auswirken, da viele Hotel- und Flugkontingente für Reisen im Winter schon im Frühjahr verhandelt wurden“, begründete Baumert. Je nach Urlaubsziel werde es maximal einen Anstieg im unteren einstelligen Bereich geben. Die höheren Kosten würden aber im kommenden Sommer mit Preiserhöhungen bei Reisen einhergehen, deren Umfang er aber noch nicht beziffern könne.

Einen Einbruch bei der Nachfrage fürchtet die Branche auch bei steigenden Preisen derzeit noch nicht. Der Urlaub stehe weiterhin ganz oben auf der Wunschliste der Deutschen, so Fiebig. Eine Umfrage, die Tui bei Yougov in Auftrag gegeben hat, ergab, dass 74% der Befragten auch im Winter verreisen wollen. Allerdings zeigt die Umfrage auch, dass viele Menschen dabei auf ihr Budget achten. 27% der Befragten geben an, vor allem auf Schnäppchen aus zu sein, 20% buchen All-Inclusive-Pakete, weil diese Ausgaben-Sicherheit bieten würden.

Einigen scheinen die Preise allerdings nach wie vor egal zu sein. Immerhin 8% der von Yougov Befragten gaben an, bei der Buchung ihrer Reise nicht auf die Kosten zu achten. Die Nachfrage im Luxussegment sei derzeit so stark wie niemals zuvor, sagte Tui-Manager Baumert. Ähnliches wusste Lufthansa-Chef Carsten Spohr im Sommer zu berichten – die Fluggesellschaft verbucht mehr und mehr Privatreisende in den teuren Buchungsklassen der First- und Business Class.

In den kommenden Monaten werden sich Flugtickets wohl weiter verteuern. „Wir werden nicht wieder heruntergehen zu den Niveaus, die wir vor der Pandemie gesehen haben“, sagte Spohr kürzlich in Berlin: „Wir werden in den nächsten Jahren sehr stabile oder vielleicht sogar steigende Ticketpreise sehen.“

Selbst für den irischen Billigflieger Ryanair, der jahrelang für Niedrigstpreise getrommelt hatte, sind die günstigen Zeiten vorbei. Ryanair-Chef Michael O’Leary sieht für Spottpreise wie das 10-Euro-Ticket in den kommenden Jahren keinen Spielraum mehr. Stattdessen werde der durchschnittlich erzielte Ticketpreis um 25% auf rund 50 Euro pro Strecke steigen, so O’Leary. Der Kreditversicherer Allianz Trade sieht vor allem die seit dem russischen Angriff auf die Ukraine stark gestiegenen Kerosinkosten als Grund für die Hochpreisphase an. Für das Gesamtjahr rechnet die Allianz bei den Tickets mit einer weit überdurchschnittlichen Preissteigerung von 21’%.

Weltweit tätigen Airlines wie der Lufthansa ist selbst vor einer Rezession in Deutschland nicht bange. Man könne dem begegnen, indem man einen größeren Teil der Tickets in den USA verkauft. „Wir gewinnen dort Marktanteile und verkaufen zu Preisen, die wir sonst nicht kennen“, berichtete der Lufthansa-Chef. Diese Alternative haben andere Unternehmen der Reisebranche nicht. Gerade der Deutschland-Tourismus ist auf deutsche Reisende angewiesen. Und wenn die Preise für Übernachtungen und in der Gastronomie anziehen, dürfte das die Nachfrage belasten. Die Vermieter von Ferienunterkünften etwa stehen derzeit vor einem Dilemma. Einerseits sind sie froh, wenn mit zeitlichem Vorlauf gebucht wird. Andererseits müssen sie dann Preise kalkulieren, ohne zu wissen, was sie selbst am Ende für Strom ausgeben müssen. In Italien und Spanien haben viele Vermieter ihre Preise deshalb bereits angehoben. Auch die Raten für Unterkünfte in Deutschland werden wohl steigen.

Bei der Dehoga, dem Hotel- und Gaststättenverband, ist von Preissteigerungen für Strom und Gas von teilweise 300 bis 500% die Rede. Auch die Gäste seien von der Inflation massiv betroffen. Und das dürfte sich erst einmal nicht ändern. Von Bundesbankvorstand Johannes Beermann hieß es bei der DRV-Veranstaltung mit Blick auf das kommende Reisejahr: „Alle Zeichen stehen auf Rezession.“ Die Inflation ist zweistellig – und werde sich auch 2023 zwischen 6 und 8% bewegen. Erst 2024 rechnet Beermann mit einem spürbaren Rückgang.

„Wir werden helfen“

Minister Habeck ist davon überzeugt, dass die Reisebranche nicht unbeschadet durch die aktuelle Krise kommt. Aber: „Wir werden helfen. Die Summen, die ausgeschüttet werden, sind erheblich“, sagte er mit Blick auf das 200 Mrd. Euro schwere Entlastungspaket für Bürger sowie Unternehmen. Die Mittel sollen auch der Reisebranche zugutekommen. Zum einen, weil die Absenkung der Gas- und Strompreise den Tourismusunternehmen unmittelbar helfe. Zum anderen, weil das Paket die Kaufkraft stützen werde, so Habeck. Er stellte aber auch klar: „Natürlich können wir nicht über Jahre die Preise mit dreistelligen Milliardensummen subventionieren. Das hält keine Volkswirtschaft aus – auch nicht ein reiches Deutschland.“

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt