Mailand

Partystimmung in Italien vor den Wahlen

Italien hat einen guten Sommer hinter sich. Doch vor dem Land liegt ein grauer und womöglich kalter Herbst. Und auch die fernere Zukunft scheint alles andere als rosig im Belpaese.

Partystimmung in Italien vor den Wahlen

Als Antonello Venditti zum „Grazie Roma“ ansetzt, hält es auch die Letzten in der römischen Kleinarena Auditorio von Renzo Piano nicht mehr auf den Sitzen. Tausende singen zum Schluss des Konzerts des Cantautore und seines Gesangskollegen Francesco De Gregori laut mit und sind beseelt von der Hymne an „ihre“ Stadt und „ihren“ Club AS Rom. Es ist eines der letzten Konzerte einer ausgedehnten Sommer-Konzert-Tour der beiden Barden. Und es ist (fast) das Ende eines langen und heißen Sommers: Auch Singerkollege Jovanotti hat am Samstag seine Jova Beach Tour über Italiens Strände beendet.

Die meisten der Millionen Touristen, die Italien in diesem Sommer heimgesucht haben, sind abgereist. Jetzt ist die Zeit der Deutschen und Schweizer, die speziell die Nachsaison lieben und die noch immer warmen, aber nicht mehr ganz so heißen Tage genießen. Der boomende Tourismus bescherte dem Belpaese 2022 ein weiteres Wachstumsjahr. Ökonomen rechnen mit einem Zuwachs von 3,5%. Es waren nicht nur Amerikaner und Europäer, die dem Land trotz Ukraine-Krieg und massiv gestiegener Energiepreise gute Einnahmen bescherten. Auch die Italiener selbst reisten viel und in den meisten Restaurants geht ohne frühzeitige Reservierung schon seit Monaten gar nichts mehr.

Doch mit dem Ende dieses fast unbeschwerten Sommers ziehen dunkle Wolken auf. In knapp zehn Tagen wird ein neues Parlament gewählt. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung hatte Mitte Juli, zusammen mit Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega, Premierminister Mario Draghi ihre Unterstützung entzogen. Seitdem ist Draghi nur noch geschäftsführend im Amt. Mitten im Sommer zogen die Politiker bei glühender Hitze durch das Land und machten Wahlkampf. Das Interesse der meisten Italiener war gering – wohl auch, weil es zu heiß war, Urlaubszeit war und die meisten von ihnen am Strand lagen. Zauberlösungen hat keine Partei zu bieten, auch wenn alle – mit weitgehender Ausnahme von Giorgia Melonis postfaschistischen Fratelli d’Italia – viele teure Versprechungen machten, die sich das finanziell klamme Land nicht leisten kann und die nicht zu realisieren sein werden. Meloni wird wohl als erste Frau an die Spitze einer italienischen Regierung gelangen und dann einer Koalition aus Rechtsparteien vorstehen, die in herzlicher Abneigung miteinander verbunden sind. Was das für Italien bedeuten wird, ist noch unklar. Vor allem die internationalen Partner und die Finanzmärkte sind beunruhigt und das ist nicht gut für das Land, das einem unsicheren Herbst entgegenblickt.

Einstweilen ist die Stimmung noch gut. Der „rientro“, das ist die Rückkehr aus den Ferien und der Beginn des Schuljahres, wird in vielen Städten mit großen Partys bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Da sind viele Grauschöpfe dabei, aber auch viele junge Leute ohne Perspektiven, die später die wachsende Zahl von Älteren durchfüttern müssen. Das wird immer schwieriger. 2050 wird ein Berufstätiger für drei Rentner aufkommen müssen.

Die Zahl der Schüler ist innerhalb der letzten zwei Jahre um 300000 gesunken. Die Geburtenrate ist mit unter 1,2 Kindern pro Frau auf einem Rekordtiefststand und Italien weist den höchsten Anteil junger Leute zwischen 15 und 29 auf, die weder arbeiten noch studieren, sowie die wenigsten in Europa mit einem akademischen Abschluss. 90000 junge Leute aus dieser Altersgruppe sind mangels Perspektiven und angesichts von Niedrigstlöhnen 2019 ins Ausland abgewandert. Und von den 18- bis 35-Jährigen, die im Land bleiben, leben 69% noch zu Hause.

Antworten auf diese Probleme liefert keine Partei. Im Mittelpunkt stehen Versprechungen für großzügige Vorruhestandsregeln, eine Mindestrente von 1000 Euro monatlich, Steuersenkungen und eine niedrige Flat Tax, eine Steueramnestie oder Forderungen nach einem schuldenfinanzierten Nachtragshaushalt. Für die Lösung der wirklich wichtigen strukturellen Probleme ist aus Sicht der meisten Politiker noch Zeit. Die Italiener interessieren sich derweil mehr für die Details der Trennung des einstigen AS-Rom-Fußballstars Francesco Totti und seiner Frau Ilary Blasi. Die Party geht weiter! Grazie Roma!

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