Notiert InMoskau

Gegessene und zerbombte Stimmzettel

Bis vor knapp 20 Jahren konnte man bei russischen Wahlen „gegen alle“ stimmen. Heute greifen extrem Frustrierte zu anderen spektakulären Methoden.

Gegessene und zerbombte Stimmzettel

Notiert in Moskau

Gegessene und zerbombte Stimmzettel

Von Eduard Steiner

Auch wenn die Behörden in Russland bei Wahlen noch so wachsam sind: Es passieren doch immer wieder Vorfälle, mit denen niemand gerechnet hat und die der omnipräsenten Kontrolle entgehen. Gewiss, auch bei der am Wochenende abgehaltenen Präsidentschaftswahl waren es nur ein paar Einzelfälle. Aber weil sie mitunter doch ziemlich außergewöhnlich erscheinen, sind sie der Notierung angesichts des unfreien Urnengangs wert – zumal vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine.

In der Stadt Kertsch beispielsweise, im östlichen Teil der von Russland annektierten Halbinsel Krim, wo die sündhaft teure Krimbrücke über die Straße von Kertsch bis zur Halbinsel Taman in der Region Krasnodar ihren Ausgang nimmt, hat ein Russe seinen Stimmzettel im Wahllokal zerrissen und gegessen. Davon berichtete der Chef der Wahlkommission der Republik Krim, Michail Malyschew, laut Nachrichtenagentur Ria Nowosti.

Zwischenfall bei der Wahl (I): Stimmzettel aufgegessen

Seinen Worten zufolge hat der Mann entweder den Stimmzettel oder irgendein anderes Papier in die Urne werfen wollen. Zuvor sei man aber schon auf ihn aufmerksam geworden, weil er etwa fünf Minuten in der Wahlkabine zugebracht und damit Verdacht erregt habe. Als er zur Urne kam und sich herausstellte, dass der Stimmzettel von ihm verfälscht worden war, habe er ihn zerrissen und – um keine Spuren zu hinterlassen – aufgegessen.

Es gab insgesamt nicht viele Vorfälle mit Stimmzettelfälschungen. Am Sonntagabend, also zum Ende der dreitägigen Präsidentschaftswahlen, berichtete das Innenministerium, dass 55 administrative Protokolle verfasst und 61 Strafverfahren eingeleitet worden seien.

Zwischenfall bei Wahl (II): Molotowcocktail in der Urne

Verfälscht wurde mit unterschiedlichen Methoden: Am ersten Tag der Stimmabgabe in Moskau schüttete eine Frau eine Flüssigkeit, die an Seljonka erinnerte, in eine Schachtel für Stimmzettel. Seljonka ist eine alkoholische, brillantgrüne Lösung, die eigentlich als Antiseptikum und seit einigen Jahren auch bei gewalttätigen politischen Protestattacken gegen renommierte Personen verwendet wird. Gegen die Frau wird strafrechtlich ermittelt. Die betroffenen Stimmzettel aber waren laut einem Vertreter der Wahlbehörde alle lesbar und wurden daher regulär gezählt. Und in Kogalym, 2.200 Kilometer nordöstlich von Moskau, warf eine Frau einen Molotowcocktail in die Wahlurne. Das Feuer konnte gelöscht werden. Ob es Verletzte durch die Benzinbombe gab, wurde nicht berichtet.

Beliebtes Protestkästchen bei russischer Wahl

Bis 2006 befand sich übrigens auf den russischen Stimmzetteln die Zeile „Gegen alle“. Bei überregionalen Wahlen wurde dieses Protestkästchen selten angekreuzt. Bei regionalen Wahlen aber durchaus häufig. Der Rekord wurde 2004 bei den Wahlen in der südrussischen Stadt Kurganinsk nahe dem Schwarzen Meer aufgestellt: Damals stimmten 65% „Gegen alle“. Das Gesetz sah aber vor, dass die Wahlen annulliert werden, wenn „Gegen alle“ mehr Stimmen bekam als der stimmenstärkste lebende Kandidat.

Eine Analyse zur Entwicklung der russischen Wirtschaft unter Präsident Wladimir Putin finden Sie hier und ein Notiert zu Witzen über Putin hier.

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