Notiert inMailand

Schlechte Luft

Die Po-Ebene in Norditalien gehört zu den europäischen Gebieten mit der schlechtesten Luft. Doch die handelnden Akteure scheuen vor strengeren Maßnahmen zurück und schieben einander die Schuld in die Schuhe.

Schlechte Luft

Notiert in Mailand

Schlechte Luft in der Po-Ebene

Von Gerhard Bläske

Gott sei dank hat es viel geregnet und gewindet in den letzten zwei Wochen in Mailand und Umgebung. Damit hat sich die Luftqualität in der Po-Ebene, die im Januar und Februar katastrophal war, deutlich verbessert. Doch unabhängig davon gehört die Po-Ebene zu den europäischen Regionen mit der schlechtesten Luft. Nach Messungen des Schweizer Unternehmens für Luftreinigungssysteme IQAir, das täglich eine weltweite Echtzeit-Info-Plattform zur Luftqualität veröffentlicht, war die Luft im Februar zeitweise nur im pakistanischen Lahore und in Dakha (Bangladesch) schlechter als in Mailand.

Ursache sind die Kessellage zwischen den Alpen im Norden und Westen und im Süden dem Apennin, die häufige Windstille und Inversionswetterlagen. Die Verschmutzung aus Industrieabgasen und intensiver Landwirtschaft mit Millionen von Schweinen und Rindern ist enorm. Dazu kommt ein massives Verkehrsaufkommen. Allein in Mailand sind 2,7 Millionen Autos zugelassen. Das Durchschnittsalter liegt bei zwölf Jahren. Und die Heizungssysteme sind völlig veraltet. Selbst in guten Wohnlagen können die Temperaturen häufig nur durch Öffnen und Schließen der Fenster reguliert werden. Der ganze Dreck bleibt oft über Wochen wie eine Glocke über Italiens wirtschaftlichem Herz hängen.

Unbeliebte öffentliche Verkehrsmittel

Zwar gibt es in Mailand, Bologna und in anderen Städten Verkehrsbeschränkungen und Mautsysteme. Doch die vielen Ausnahmeregelungen schränken deren Wirksamkeit ein. Und 63% der kürzlich befragten Mailänder gaben an, mit ihrem Auto zur Arbeit zu fahren. Dabei hat Italiens Wirtschaftsmetropole den besten und zuverlässigsten öffentlichen Nahverkehr des Landes. Doch die Mailänder beklagen zu volle und unsichere Verkehrsmittel, die angeblich zu selten verkehren und schlecht miteinander verknüpft seien. Das ist eher eine Ausrede, doch dass zuletzt die ÖPNV-Preise deutlich angehoben worden sind, hat sicher nicht dazu beigetragen, Autofahrer zum Umsteigen zu bewegen.

Edoardo Croci, Professor für Umweltökonomie an der renommierten Mailänder Universität Bocconi, findet, dass die Politik zu wenig entschlossen und streng reagiert. Zwar gibt es strengere Verkehrsbeschränkungen, wenn die Lage besonders dramatisch ist. Doch effiziente Maßnahmen gegen die Verschmutzung sind unpopulär und teuer. Und die individuelle Bewegungsfreiheit dürfe keinesfalls beschränkt werden, ist zu hören.

Städte, die betroffenen Regionen und der Zentralstaat schieben einander die Schuld in die Schuhe, warum sich nichts tut. Einig sind sich die Entscheidungsträger nur darin, dass die Messergebnisse von IQAir irreführend und nicht seriös seien. Andere Messungen sind zwar weniger spektakulär, zeigen aber die gleiche Tendenz: Die Grenzwerte werden deutlich übertroffen. Doch seit sich die Wetterlage gedreht hat, ist die Luft vorübergehend besser, Mailand nicht mehr vorne in der IQAir-Liste und das Thema aus den Schlagzeilen verschwunden. Bis zur nächsten Inversionswetterlage!

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