Im BlickfeldRestrukturierung

StaRUG: Der Nebel lichtet sich

Mit den Restrukturierungen von Gerry Weber und Leoni gewinnt das neue Sanierungsverfahren StaRUG an Kontur. Die Erfahrungen der Beteiligten zeigen, warum es wohl dennoch kein Verfahren für die breite Masse werden kann.

StaRUG: Der Nebel lichtet sich

Der Nebel lichtet sich

Mit den Restrukturierungen von Gerry Weber und Leoni gewinnt das neue Sanierungsverfahren nach dem StaRUG an Kontur. Die Erfahrungen der Beteiligten zeigen, warum es wohl dennoch kein Verfahren für die breite Masse werden kann.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Eine der beliebtesten Anmerkungen von Restrukturierern zum vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren StaRUG lautet: „Es gibt dazu mehr Kommentare als Fälle.“ In den ersten beiden Jahren nach der Einführung 2021 meldeten die Gerichte in Deutschland bundesweit jeweils weniger als 30 Sanierungen nach dem StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen), davon ist wiederum nur ein Bruchteil öffentlich bekannt. Doch zwei Schlaglichter sind gesetzt: Mit Leoni und Gerry Weber International erlebt das Verfahren gerade den Praxistest für die Sanierung von börsennotierten Unternehmen – und es wird klarer, wo die Tücken liegen.

Unter Kleinaktionären, das lässt sich schon beobachten, hat das StaRUG nur wenige Freunde gewonnen. Bei der inzwischen von der Börse verschwundenen Leoni liefen die Kleinaktionäre Sturm, da sie in der Restrukturierung leer ausgingen. Auch Gerry Weber wird nach einer Kapitalherabsetzung auf null von der Börse verschwinden, die Aktie spielte dort mit einem Streubesitz von zuletzt nur noch 7% ohnehin nur noch eine Nebenrolle.

Bei dem westfälischen Modeunternehmen, das bereits 2019 eine Restrukturierung durchlaufen hat, stehen die Altgesellschafter um Robus, Whitebox und J.P. Morgan als Finanzierer auch künftig hinter der als „Sanierungsinvestor“ bezeichneten Gesellschaft Golden Square Capital. Sie reichen als Bestand-Kreditgeber ein Darlehen aus, um neben dem Kauf registrierter Marken von Gerry Weber International auch „die Zeichnung der Neuen Aktien und den allgemeinen Betriebsmittelbedarf des Sanierungsinvestors zu decken“, wie aus dem in Auszügen veröffentlichten Restrukturierungsplan hervorgeht. Die Auswahl an Geldgebern dürfte für Gerry Weber auch nicht allzu groß gewesen sein. Die Kreditgeber haben nun die Perspektive, über Finanzierungsinstrumente an einer möglichen Wertaufholung zu partizipieren.

Schuldenschnitt bei Gerry Weber

Dass einzelne Gläubiger bei einer StaRUG-Restrukturierung leer ausgehen, ist möglich, weil das Verfahren Mehrheitsbeschlüsse ermöglicht. Gläubiger werden in verschiedene Gruppen eingeteilt, einzelne Gruppen können überstimmt werden. Um vor Gericht standzuhalten, muss aus dem Plan hervorgehen, dass Gläubiger nicht schlechter gestellt sind als in einem Alternativszenario ohne den Plan. Bei Aktionären lautet das Argument in der Regel, dass die Alternative eine Insolvenz wäre – die ihnen ebenfalls den Totalverlust brächte.

Das Management der unterschiedlichen Gläubigerinteressen war eine der größten Herausforderungen im StaRUG-Verfahren, berichtet Florian Frank, CFO von Gerry Weber. „Es gibt beispielsweise besicherte Gläubiger, die genau prüfen, wie werthaltig ihre Sicherheiten sind – und ob sie nicht mit einer Zerschlagung besser wegkämen“, sagt er. Andere Gläubiger seien kaum besichert oder gingen komplett leer aus. „Jede Stakeholder-Gruppe hat eigene Meinungen und Hoffnungen.“

Jede Stakeholder-Gruppe hat eigene Meinungen und Hoffnungen.

Florian Frank, CFO, Gerry Weber

Hinzu kommt: Über ein StaRUG lassen sich in erster Linie Finanzierungsstrukturen umbauen. Bei Gerry Weber ging es um eine Refinanzierung über rund 80 Mill. Euro, die in diesem Jahr angestanden hätte. Bereits Ende 2022 zeichnete sich ab, dass dies problematisch würde. Über das StaRUG-Verfahren kann Gerry Weber International dem Vernehmen nach rund 180 Mill. Euro an Schulden abschneiden. „Man spricht beim StaRUG aber ausschließlich über die Restrukturierung der Passivseite und die Finanzverbindlichkeiten“, betont CFO Frank.

Eine tiefergreifende operative Restrukturierung sieht das vorinsolvenzliche Verfahren nicht vor – daher durchlief parallel die Gerry Weber Retail, in der das Filialgeschäft läuft, eine Insolvenz in Eigenverwaltung. In diesem Rahmen waren Verhandlungen mit Vermietern und tiefgreifende Einschnitte in das Filialnetz möglich, bis Ende September sollen 122 von vormals 171 Filialen in Deutschland schließen. Die Zukunft sieht Gerry Weber im Wholesale-Bereich.

Hoher Abstimmungsbedarf

Der Abstimmungsbedarf beim StaRUG einer börsennotierten Gesellschaft sei groß, berichtet Lars Westpfahl, Partner der Kanzlei Freshfields, die ein Konsortium der Kreditgeber beim StaRUG-Verfahren von Leoni beraten hat. Auch die Gerichte haben mit StaRUG-Fällen bislang kaum Erfahrung. Doch das Bestreben, dem jungen Rechtsgebiet Kontur zu geben, ist seiner Wahrnehmung nach groß: „Ich habe das Gericht als sehr engagiert und pragmatisch erlebt“, sagt Westpfahl. Sowohl Leoni als auch die Berater hätten einen direkten Draht zum Gericht in Nürnberg gehabt, Entscheidungen seien immer ausführlich begründet worden. „Es ging kritisch zu, aber immer im Bemühen, eine konstruktive Lösung zu finden.“

Allen-&-Overy-Partner Sven Prüfer hat Gerry Weber beim StaRUG-Verfahren begleitet. Die Rolle des Gerichts sei wichtig, um ein solches Verfahren zum Erfolg zu führen, findet er. Nicht jede Komplikation lasse sich im Vorfeld vorhersehen, und nicht jede Rechtsfrage sei in dem Kontext des StaRuG schon aufgetreten und entsprechend durchdacht worden. „Da braucht man einen Richter, der bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen.“

Man bekommt jetzt ein Gefühl für die Praxis des StaRUG.

Steffen Reusch, BDO Restructuring

Auch Steffen Reusch, Geschäftsführer bei BDO Restructuring in Deutschland, begleitet zurzeit einen StaRUG-Fall. Dabei orientieren sich die Beteiligten auch an den Erfahrungen der „Leuchtturmfälle“ wie insbesondere Leoni und Gerry Weber, sagt er. „Die Gerichte müssen eine Rechtsprechung entwickeln, dabei gibt es immer Unsicherheiten. Man sieht aber jetzt: Diese Unsicherheiten sind lösbar.“ Die ersten Entscheidungen seien auch für weitere Verfahren eine gute Orientierungshilfe. „In dieser Hinsicht war Leoni bestimmt ein Stück weit ein Türöffner. Man bekommt jetzt ein Gefühl für die Praxis des StaRUG.“

Nicht alles für StaRUG geeignet

Als Verfahren für eine breite Masse an Fällen wird sich das StaRUG wohl dennoch nicht etablieren. Nicht nur, weil die Anwendung eng begrenzt ist – die erfolgreiche Umsetzung erster Fälle stärkt auch die Wirksamkeit des StaRUG als Drohkulisse. „Man sieht jetzt, dass StaRUG-Fälle mit Mehrheitsbeschluss umgesetzt werden. Das steigert die Motivation, im Vorfeld einen Konsens zu finden“, beobachtet Freshfields-Anwalt Westpfahl. Manche Gesellschaft wähle auch nach wie vor den Weg über das britische Scheme of Arrangement oder den Restructuring Plan, die eingespielter sind.

Wenn das StaRUG die beste Option darstellt, bin ich als Vorstand verpflichtet, diesen Weg zu gehen.

Florian Frank, CFO, Gerry Weber

Allerdings gewinnt Krisenfrüherkennung immer weiter an Bedeutung, auch bei Banken. Die Sorge, das noch wenig etablierte StaRUG könnte für Geschäftsführer ein höheres Haftungsrisiko bedeuten als andere Restrukturierungsszenarien, könnte sich daher auch ins Gegenteil verkehren, meint Restrukturierer Reusch. „Man könnte ja auch dem Geschäftsführer eines insolventen Unternehmens die Frage stellen, warum er nicht zu gegebener Zeit ein vorinsolvenzliches StaRUG eingeleitet hat, um die Insolvenz abzuwenden“, gibt er zu bedenken.

Gerry-Weber-Finanzvorstand Frank sieht die Verfahrenswahl pragmatisch: „Wenn das StaRUG die beste Option darstellt, bin ich als Vorstand verpflichtet, diesen Weg zu gehen. Restrukturierung ist ja kein Wunschkonzert.“

Rückzug von der Börse

Dem Autozulieferer Leoni fließen nach der StaRUG-Restrukturierung 150 Mill. Euro frische Liquidität zu, von Verbindlichkeiten über insgesamt 708 Mill. Euro wird die Gesellschaft im Gegenzug entlastet. Die Börsennotiz der Altaktien ist inzwischen erloschen. Freshfields-Anwalt Westpfahl hebt in dem komplexen Verfahren um Leoni auch die Funktion des gerichtlich bestellten Restrukturierungsbeauftragten hervor. Er soll im StaRUG eine vermittelnde Rolle übernehmen. Gesetzlich verpflichtend ist die Funktion in den meisten Fällen nicht. „Sie hilft aber als neutrale Instanz sowohl als Vermittler bei Gericht als auch bei den Gläubigern.“

Auch bei Gerry Weber war ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt. „Das ist aus meiner Sicht eine ganz wichtige Person, die Neutralität gibt“, sagt Vorstand Frank. Sven Prüfer von Allen & Overy zieht eine zentrale Erkenntnis aus dem StaRUG-Verfahren von Gerry Weber: „Man muss im Vorfeld sehr weit vorausdenken und versuchen, auf Störfeuer von verschiedenen Seiten bestmöglich vorbereitet zu sein.“ Die Reaktion von Gläubiger A beeinflusse oft Gläubiger B und C, was zu weiteren Folgeentwicklungen führe. „Diese Komplexität hatte ich am Anfang unterschätzt“, sagt Prüfer. Das StaRUG ist aus seiner Sicht daher eher für große Fälle geeignet. „Für den kleineren Mittelstand wäre der Aufwand enorm.“

Für Gerry-Weber-CFO Frank lagen
die meisten Lerneffekte im laufenden Austausch mit den Gläubigern. „Man muss permanent im Dialog bleiben, damit niemand die Situation eskaliert und auf die Idee kommt, den Plan zu kippen.“ Ende September soll der Plan nun gerichtlich bestätigt und Gerry Weber Mitte November in eine GmbH umgewandelt werden. Damit erlischt dann auch die Börsennotiz. Mit der neuen Finanzierung soll Gerry Weber dem Restrukturierungsplan zufolge nun bis zum Jahr 2027 abgesichert sein.

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