Wiesbaden

Statistiker wagen sich immer weiter aus dem Elfenbeinturm

So manches vom Statistischen Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden produzierte Zahlenwerk taugt durchaus als Gesprächsstoff.

Statistiker wagen sich immer weiter aus dem Elfenbeinturm

Statistiker gelten gemeinhin nicht unbedingt als funkensprühende Alleinunterhalter einer Party. Man sieht sie eher dröge allerlei Zahlen jonglierend in einem Elfenbeinturm sitzen. Damit verkennt man allerdings, dass so manches vom Statistischen Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden produzierte Zahlenwerk durchaus zum Gesprächsstoff taugt.

In vielerlei Hinsicht. Etwa regional. Denn wussten Sie schon, dass das rheinland-pfälzische Dierfeld im Landkreis Bernkastel-Wittlich in der Vulkaneifel Ende 2021 mit neun Einwohnern die kleinste Gemeinde Deutschlands war? Ein Jahr zuvor war es noch Gröde auf der gleichnamigen Hallig mit elf Bewohnern. Damit hätte man schon eher gerechnet. Wenig überraschend ist Berlin nach wie vor die bevölkerungsreichste, München die am dichtesten besiedelte Gemeinde.

Auch für saisonbezogene Gespräche findet sich Brauchbares im Destatis-Datenschatz: So könnten Sie zum Beispiel an Halloween mit der Info aufwarten, dass die 2021er Ernte von 99100 Tonnen Speisekürbissen um 14% höher ausfiel als im Jahr zuvor – ein Rekordwert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2006. Die Lebkuchensaison 2021 verlief im Übrigen nicht so rosig, die gut 84500 Tonnen des Weihnachtsgebäcks liegen um 2% unter dem Vorjahresniveau. Für die Gesundheitsbewussten unter Ihnen: 2022 war ein gutes Jahr für Kirschen. Die 48700 Tonnen geernteter Mineralstoff- und Vitaminlieferanten bedeuten ein Plus zum – allerdings miesen – Vorjahr von 26,8%. Wem Folsäure und Zink trotz der anlaufenden Erkältungszeit nicht unbedingt munden, der darf sich schon mal freuen, denn auch die Weinernte dürfte besser ausgefallen sein als im Vorjahr. Freuen darf man sich auch, wenn die eigenen Gefühle vom Zahlenwerk belegt werden. Obwohl das nicht immer schön ist. Etwa wenn man schon ahnt, dass man zum Ende des Tankrabatts an der Zapfsäule wieder mehr berappen muss als die direkten EU-Nachbarn.

Beliebtestes Beispiel der Diskrepanz zwischen Gefühls- und Zahlenwelt ist und bleibt aber die Inflation. Amtlich gemessen lag sie im September bei 10,0%. Der persönliche Inflationsrechner, der sich auf der Homepage der Statistiker findet, zeigt dann aber deutlich, wie teuer das eigene Leben nun wirklich ist. Hilfreich ist dann auch ein – zugegeben etwas älterer – Podcast, der nochmal schön erklärt, wie sich das mit der Inflation verhält. Auf allen Ebenen, von den Import- und Erzeugerpreisen über diejenigen des Großhandels bis hin zum Verbraucher. Und wie die Teuerungsrate erhoben wird, wie sich die Corona-Pandemie ausgewirkt hat und ob 2020 wirklich als Basisjahr taugt oder nicht.

Überhaupt versuchen die Wiesbadener Zahlenschieber seit einiger Zeit immer stärker, sich zu öffnen und ihre Welt zu erklären. Etwa mit dem Ende 2020 gestarteten Dash­board Deutschland. Hier finden sich gesammelt grafisch aufbereitet allerlei Daten und Informationen zu Themenbereichen wie Arbeitsmarkt, Konjunktur und Wirtschaft, Gesundheit oder Mobilität. Oder eben top­aktuell und im Fokus aller Gespräche: Ukraine und Energie. Den Weltmarktpreis für Weizen oder die Nettonennleistung der Anlagen zur Elektrizitätserzeugung dürften die wenigsten parat haben. Auch die Sammlung zum Zusammenhang zwischen Materialknappheit und Industrieaktivität ist ein Schmankerl nicht nur für Feinschmecker.

So richtig in die Vollen gehen die Statistiker aber beim Zensus 2022. Die Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung zum Stichtag 15. Mai 2022 wird begleitet von einer eigenen Homepage, einem Twitter-Account, Video und Podcast – der allerdings nur drei Teile zählt. Da darf man doch gespannt sein, was im November 2023 geboten wird, wenn die ersten Ergebnisse veröffentlicht werden sollen – diesen November endet die Befragung der Haushalte.

Bisher hat der geneigte Zuhörer der diversen Podcasts jedenfalls gelernt, dass auch der Statistiker ein normales Leben als Familienvater führt oder je nach Brauerei (fast) eine Träne vergießt, wenn fässerweise Bier weggekippt werden muss. Man erfährt ungewohnterweise zwar nicht wie viel, doch dass die Hopfenkaltschale wegen der Corona-Pandemie ungetrunken blieb und das Verfallsdatum überschritten war.

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