Luftfahrt

Vorteil für Airbus

Für einen operativen Neustart nach dem Coronaschock 2020 verfügt Airbus über eine deutlich bessere Ausgangsposition als der Dauerrivale Boeing.

Vorteil für Airbus

Der Coronaschock hat der Luftfahrtbranche derart zugesetzt, dass sie erst in Jahren das Niveau vor Ausbruch der Pandemie erreichen dürfte. Denn trotz zahlreicher aufgehobener Reisebeschränkungen ist das Geschäft der Airlines und der Flugzeughersteller nach wie vor sehr störanfällig. Der Verlauf von Covid-19 bestimmt, wie schnell die Branche aus dem Tief herauskommt. Angesichts jüngster Rückschläge in einigen Industriestaaten bei der Bekämpfung der Seuche – darunter Deutschland – kann nicht ausgeschlossen werden, dass manche Länder in der Not doch wieder auf Lockdowns als allerletztes Mittel zurückgreifen.

Für Airbus und Boeing wäre Letzteres ein Worst-Case-Szenario. Beide Unternehmen setzen ihre Hoffnungen unverändert darauf, dass sich ihr Geschäft schrittweise von der Krise erholt: zunächst das Segment der Kurz- und Mittelstrecken-Passagiermaschinen gefolgt vom Langstreckenbereich. Ein Blick in die Auftragsbücher zeigt, dass zwar die Auslieferungen etwas anziehen, die Neubestellungen aber holprig verlaufen. Viele Luftfahrtgesellschaften halten sich mit Neuaufträgen zurück. Stornierungen dominieren das Bild. Denn die finanzielle Lage vieler Airlines ist und bleibt angespannt.

Vor diesem Hintergrund musste der Luftfahrtverband IATA seine Prognose zuletzt nach unten korrigieren: Im laufenden Jahr werde nur rund 40% des Vorkrisenzustands erreicht. Zuvor rechnete die Interessenvertretung mit Sitz in Montreal noch mit 50%. Dieser ernüchternden Realität können sich die beiden führenden Flugzeugbauer nicht entziehen. Sie agieren weiterhin in einem volatilen Umfeld.

In dem Prozess des Neustarts unterscheiden sich Airbus und Boeing allerdings deutlich. Die Nachwirkungen der Pandemie haben den amerikanischen Konzern stark geschwächt. In Kombination mit strategischen Fehlentscheidungen und Missmanagement (Desaster um Modell 737Max) wirkt sich das verheerend für das Unternehmen aus. Die Boeing-Führung kämpft mit einem Schuldenberg. Das engt die Handlungsspielräume von CEO David Calhoun ein, schließlich handelte es sich um hausgemachte Fehler, die bereits vor Ausbruch von Corona ins Kontor schlugen. Boeing ist ein Restrukturierungsfall geworden. Das zeigen die Zahlen für die ersten neun Monate dieses Jahres. Zwar gelang es, den Nettoverlust auf 126 Mill. Dollar (gemäß US-GAAP) deutlich zu reduzieren, der Konzern operiert aber nach wie vor mit einem negativen Eigenkapital. Per Ende September waren es – 14 Mrd. Dollar. Das macht gut 10% der Bilanzsumme aus.

Flugzeugbauer können solch ein Minus durchhalten, solange sie genügend Cash-flow und Liquidität erwirtschaften. Das ist bei Boeing noch der Fall. Gefährlich wird es dann, wenn die Einnahmequellen versiegen – zum Beispiel dann, wenn abermals weltweit drastische Reisebeschränkungen verhängt werden sollten, so dass der Luftverkehr erneut zum Erliegen kommt. Im Ernstfall lässt Washington das nationale Aushängeschild und Hightech-Unternehmen sowieso nicht fallen. Too big to fail.

Während Calhoun noch viel Zeit dafür verwenden wird, die Konzernbilanz ins Lot zu bringen, befindet sich die Airbus-Führung auf einem guten Weg, ihre Hausaufgaben zu machen. Das finanzielle Tief des Jahres 2020 scheint überwunden. Zum Vergleich: In den ersten neun Monaten dieses Jahres betrug das Eigenkapital 8,8 Mrd. Euro (nach IFRS), immerhin über 8% der Konzern-Bilanzsumme. Im Vorjahr sackte die Quote zeitweise auf nahezu 3% ab. Airbus drehte den freien Cash-flow per Ende September mit 2,3 Mrd. Euro deutlich ins Plus, nachdem im vergangenen Jahr noch Milliarden verbrannt worden waren. Kosteneinsparungen zahlen sich aus. Parallel dazu zieht das operative Kerngeschäft mit der Brot-und-Butter-Baureihe A320 vorsichtig an. Angesichts angespannter Lieferketten haben manche Zulieferer zu tun, mit dem ehrgeizigen Produktionshochlaufplan von Konzernchef Guillaume Faury nachzukommen. Notfalls wäre der Franzose gezwungen, Abstriche bei der Cash Cow des Konzerns zu machen.

Für Calhoun dürften das Luxusprobleme sein. Die derzeitige Bestandsaufnahme verdeutlicht, wie beide Rivalen auseinandergedriftet sind. Die Europäer haben nunmehr eine viel bessere Ausgangsposition, aus der Krise zu fliegen. Das kann dazu führen, dass das oftmals beschworene Gleichgewicht zwischen beiden Konzernen nunmehr der Vergangenheit angehört. Im Wettstreit um die Vorherrschaft am Himmel befindet sich Airbus im Vorteil. (Börsen-Zeitung, 13.11.2021)

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