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Wie Konzerne von Start-ups profitieren wollen

Mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen Konzerne, die Innovationskraft von Start-ups für sich nutzbar zu machen. Neben Corporate Venture Capital kommt zunehmend auch Venture Clienting zum Einsatz.

Wie Konzerne von Start-ups profitieren wollen

Käufer oder Kunde

Mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen Konzerne, die Innovationskraft von Start-ups für sich nutzbar zu machen. Neben Corporate Venture Capital kommt zunehmend auch Venture Clienting zum Einsatz.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Immer am Puls der Zeit, mit schnellen Entwicklungszyklen und schlanken Prozessen – von diesem Idealbild eines Start-ups wollen auch größere Unternehmen gern profitieren. Ein gängiger Weg ist Corporate Venture Capital (CVC). Dabei beteiligen sich Konzerne – zumeist mit einem Minderheitsanteil – an interessanten Jungunternehmen. Seit einiger Zeit ist immer häufiger noch ein weiterer Ansatz zu sehen: Beim Venture Clienting müssen Unternehmen sich nicht direkt am Start-up beteiligen, sondern erproben dessen Technologie als früher Kunde im Tagesgeschäft.

Unternehmen versprechen sich von einer Venture-Client-Strategie in erster Linie neue Lösungsansätze für Probleme sowie Verbesserungen bei Produkten und Prozessen, zeigt der „State of Venture Client“-Report der auf Venture Clienting spezialisierten Beratung „27Pilots – a Deloitte Business“, in den Aussagen von mehr als 20 Konzernen aus verschiedenen Industrien eingeflossen sind.

Venture Clienting als Option für Mittelständler

Als Venture Clients können Unternehmen zum Zuge kommen, die als Investoren einen schweren Stand hätten, berichtet Gregor Gimmy, Partner bei Deloitte und CEO von 27Pilots. Mittelständler mit 100 Mill. Euro Umsatz und ohne Netzwerk in der Venture-Szene würden es kaum in den Investorenkreis eines begehrten Start-ups schaffen. Beim Venture Clienting sei die Hürde kleiner: „Ein Mittelständler, der in seinem Bereich zu den Weltmarktführern gehört, kann einem Start-up als Venture Client wertvolles Feedback zum Produkt geben und hat in der Kundenliste Gewicht.“

Noch müssten Unternehmen, die spezialisierte Venture-Client-Units aufbauen, Pionierarbeit leisten. „Zwar kooperieren viele Konzerne in der einen oder anderen Form mit Start-ups, häufig erfolgt dies aber opportunistisch und unkoordiniert“, sagt der Berater. Die Aufmerksamkeit für eine strukturierte Herangehensweise steigt aber. Das zeigt schon der Blick in die Beratungslandschaft: Mehrere Consultinghäuser weisen inzwischen spezielle Beratungsangebote für Venture Clienting aus. Gimmys 2018 gegründete Beratung 27Pilots wurde im Januar 2023 von Deloitte übernommen.

Strukturiertes Venture Clienting

Sopra Steria hat vor wenigen Wochen die Einheit „Sopra Steria Ventures Deutschland“ gegründet. Neben den gruppenweiten Venture-Aktivitäten, die es seit 2019 gibt, will das Technologieunternehmen damit speziell in Deutschland sein Netzwerk erweitern. Die Einheit soll Kooperationen mit und Beteiligungen an jungen Firmen fördern. „Hier in Deutschland steht für uns das Venture Clienting im Fokus“, sagt Christian Wrage, Vorstandssprecher von Sopra Steria. Kooperationen habe es bislang schon gegeben, durch die Venture-Einheit bekämen diese aber nun eine sichtbare Struktur. „Das hilft bei der Positionierung des Angebots nach außen, bringt aber auch innerhalb des Konzerns mehr Verbindlichkeit.“

Das Unternehmen vermittelt Start-up-Kontakte auch an seine Kunden, „wir agieren dann als Scout und Matchmaker und verschaffen Start-ups den häufig fehlenden Marktzugang“, erklärt Wrage. Direkte Beteiligungen seien „nicht zwingend, sind aber auch nicht ausgeschlossen“, so der Vorstandssprecher: „Venture Clienting und Corporate-Venture-Investments laufen bei uns parallel.“

Bei den Aktivitäten stehen die strategischen Ziele im Vordergrund: „Es geht in erster Linie darum, Technologietrends zu erkennen und mit den Anforderungen unserer Kunden zusammenzubringen“, sagt Wrage. „Das bedeutet, dass wir mit Start-ups und Kunden Zeit, Ressourcen und Know-how in die gemeinsame Entwicklung von Lösungen investieren, aber nicht notwendigerweise große Summen an Geld.“ Die Möglichkeit einer Direktbeteiligung im Hintergrund zu haben, sei jedoch hilfreich. „Gespräche können auch in diese Richtung abbiegen, und dann ergibt sich aus einer Kooperation vielleicht doch noch ein Investment.“

Ingo Ramesohl ist Geschäftsführer bei Bosch Ventures.
Ingo Ramesohl ist Geschäftsführer bei Bosch Ventures. Bosch

Die Stuttgarter Bosch-Gruppe zählt zu den bekanntesten Adressen für Corporate Venture Capital. Schon seit 2007 gibt es im Unternehmen dafür eine eigene Einheit, die inzwischen mehr als 100 Investments getätigt hat, die meisten davon in Series-A- oder Series-B-Start-ups. Bosch Ventures listet als aktive Investments mehrere auf künstliche Intelligenz spezialisierte Unternehmen, darunter bekannte Namen wie Aleph Alpha, aber auch Quantenrechner-Start-ups oder Halbleiterfirmen. Bei Direktbeteiligungen investiert die Einheit in der Regel 5 bis 25 Mill. Euro, die Equity-Position liegt üblicherweise bei maximal 25%.

Die spezialisierte Unit für Venture Clienting wurde 2018 als Teil von Bosch Ventures gegründet und nennt sich „Open Bosch“. Beide Ansätze ergänzen sich, sagt Ingo Ramesohl, Geschäftsführer bei Bosch Ventures. „Wir schauen uns jedes Jahr die Profile von 2.000 bis 3.000 Start-ups an, direkte Investments tätigen wir bei fünf bis zehn davon.“ Das Marktwissen und das Innovationspotenzial der übrigen Jungunternehmen wollte der Konzern für sich nutzbar machen, auch ohne direkt zu investieren.

Was sollen Start-ups liefern?

Damit dies gelingt, seien Hinweise aus den Konzernabteilungen wichtig, sagt Ramesohl: „Unsere Business Units nutzen oft sehr spezielle Technologien und haben spezifische Herausforderungen. Wenn wir diese kennen, können wir bei den Start-ups, die wir sehen, nach den besten Lösungen suchen.“ Genau zu wissen, was man von einer Venture-Client-Kooperation erwartet, ist auch für Berater Gimmy einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Sonst liefert das Produkt des Start-ups womöglich die Antwort auf eine Frage, die im Konzern niemand gestellt hat.

Es ist wenig sinnvoll, wenn ein Venture Scout sich als verlängerter Vertriebsarm eines Start-ups positioniert und dessen Lösung in die Fachabteilung drückt.

Gregor Gimmy, CEO von 27Pilots

„Es ist wenig sinnvoll, wenn ein Venture Scout sich als verlängerter Vertriebsarm eines Start-ups positioniert und dessen Lösung in die Fachabteilung drückt“, sagt Gimmy. Stattdessen sollten die Herausforderungen der operativen Einheiten im Fokus stehen. „Sie sollten es auch sein, die letztlich über eine Kooperation entscheiden.“ Die Produkte werden dann üblicherweise zunächst im kleinen Rahmen in einer Pilotphase eingesetzt, die zumeist zwischen einem und vier Monaten dauert.

Die finanziellen Hürden sind beim Venture Clienting eher niedrig: „Bei Softwarelösungen liegen die Beträge für die Pilotphase häufig um 25.000 Euro, bei etwas aufwendiger zu integrierender Hardware können es auch mal 50.000 Euro sein“, sagt Gimmy. Er rät, bei Venture Clienting auf hochbewertete Start-ups zu setzen. Dies signalisiere, dass der Investorenkonsens dem Unternehmen eine hohe Erfolgschance beimisst. Auch ein Blick auf die Investorenliste gebe Hinweise: „Wenn prominente Geldgeber hinter dem Start-up stehen, kann man sichergehen, dass es sich gegen große Konkurrenz durchgesetzt hat und intensiv geprüft wurde.“

Wer disruptiert wen?

Bei Bosch setzt Ramesohl für Kooperationen üblicherweise auf Start-ups in einer reiferen Phase: „Das Produkt muss so stabil sein, dass die aufnehmende Business Unit in der Gruppe es sofort einsetzen kann.“ Für Einschätzungen zu möglichen Partnern seien auch Hinweise aus dem Venture-Ökosystem hilfreich. Die Erfolgsquote der Projekte, die Bosch in einer Pilotphase einem Proof of Concept unterzieht, schätzt Ramesohl je nach Einsatzgebiet und Region auf 20 bis 50%.

Wenn es nicht klappt, liegt das nicht zwingend am fehlenden strategischen Fit: „Manchmal scheitert eine Kooperation auch, weil das Start-up die Strategie ändert oder ein Produkt aufgibt“, sagt er.

Ist die Pilotphase erfolgreich, kann eine dauerhafte Zusammenarbeit folgen. Doch auch andernfalls könne man aus den Projekten häufig Lerneffekte mit Blick auf Prozesse oder Produkte ziehen, betont Ramesohl. Der enge Kontakt zu Start-ups ist für ihn erfolgskritisch: „Am Ende ist das Ziel, die Innovationsführerschaft von Bosch zu sichern. Wir müssen sicherstellen, dass wir keine wichtigen Entwicklungen oder Disruptionschancen verpassen – und dass wir nicht selbst disruptiert werden.“