Knorr-Bremse

Zwei Welten

Der Spezialist für Bremsen bei Nutz- und Schienenfahrzeugen verfolgt ehrgeizige Wachstumspläne. Der Autozulieferer Hella war für Knorr-Bremse aber nicht das richtige Übernahmeziel.

Zwei Welten

Regelmäßig beklagte sich Andreas Renschler, die Vorstände von Volkswagen verstünden zu wenig vom Nutzfahrzeuggeschäft. Der erfahrene Truck-Manager, der lange für Daimler tätig war und von 2015 bis vor einem Jahr Vorstandsvorsitzender der VW-Nutzfahrzeugholding Traton, erlebte dieses Manko als Mitglied des Wolfsburger Konzernvorstands. Zwischen beiden Segmenten liegen tatsächlich Welten: Auf der einen Seite das emotional aufgeladene Produkt Pkw, auf der anderen Seite die Lkw, für deren Kunden es ganz nüchtern in erster Linie um die Betriebskosten geht. Für Spediteure zählt jeder Cent pro Kilometer.

Renschler war die treibende Kraft für den Börsengang von Traton im Sommer 2019, um die zwei Fahrzeugwelten besser zu trennen und der Nutzfahrzeugsparte mehr Spielraum zu verschaffen. Knorr-Bremse hatte den umgekehrten Weg im Sinn mit der angedachten Übernahme des Autozulieferers Hella. Bisher konzentriert sich das Münchner Unternehmen als Weltmarktführer für Bremsen auf Nutz- und Schienenfahrzeuge. Doch mit dem Einstieg ins Zuliefergeschäft für Pkw wird es nichts, wie Knorr-Bremse am späten Mittwochabend adhoc mitteilte. Die Chancen für einen möglichen Transfer von Kompetenzen speziell in den Nutzfahrzeugbereich erschienen dem Management nicht ausreichend.

Der Finanzmarkt hatte sich von Anfang an skeptisch gezeigt. Seit Knorr-Bremse am Dienstag vor einer Woche das Interesse an dem Hella-Familienanteil von 60% bestätigt hatte, war der Aktienkurs um 20% abgesackt. Ein Grund für den Sturz mag eine befürchtete Kapitalerhöhung sein, die den Gewinn je Aktie verwässert hätte. Hella ist an der Börse 6,5 Mrd. Euro wert. Ein Übernahmeangebot hätte wohl 7 Mrd. Euro weit übertroffen. Auch für den solide finanzierten Knorr-Bremse-Konzern wäre das ein dicker Brocken gewesen.

Der zweite Grund war wohl die Unsicherheit darüber, was Knorr-Bremse mit dem Pkw-Segment von Hella anfangen wollte. Zunächst hatte sich der Vorstand nicht dazu geäußert, welche industrielle Logik für die Übernahme gesprochen hätte. Analysten kritisierten die unterschiedlichen Markt- und Geschäftsmodelle. Und betonten: Knorr-Bremse müsse sich zwar auf der Digitalseite verstärken. Es sei aber fraglich, ob dies mit Hella hätte gelingen können. Die Qualität des Portfolios von Hella sei geringer als jene von Knorr-Bremse. Der Kaufpreis wäre jedoch hoch. Das sieht nun offenbar auch Knorr-Bremse so.

Hella erzielte zuletzt im Lichtgeschäft 2,6 Mrd. des gesamten Jahresumsatzes von 5,8 Mrd. Euro. Zum Angebot gehören auch Tagfahrlicht, Arbeits- und Rückfahrscheinwerfer für Lkw. Damit hätte Knorr-Bremse zwar das Portfolio im angestammten Kundensegment ausweiten können, doch dominant für die Hella-Sparte ist das Pkw-Geschäft. Das gilt auch für den Elektronik-Teil von Hella mit einem Jahresumsatz von 2,3 Mrd. Euro. Knorr-Bremse hatte vor allem Interesse an den Sensoren und der Radartechnik fürs autonome Fahren. Das Münchner Unternehmen ist auf diesem Gebiet schon aktiv mit Systemen für Nutz- und Schienenfahrzeuge. Hier arbeitet Knorr-Bremse mit Continental zusammen. Das junge Geschäft verspricht großes Wachstum.

Knorr-Bremse strebt nach einer stetigen Expansion des Geschäfts – ganz im Sinne des im Februar gestorbenen Heinz Hermann Thiele, der das Unternehmen mehr als drei Jahrzehnte lang geprägt und groß gemacht hat. Im Kerngeschäft limitiert jedoch allein schon das Wettbewerbsrecht den Wachstumsdrang. Gleichzeitig ist Wabco, der größte Konkurrent im Nutzfahrzeugsegment, stärker geworden, seit er zum ZF-Konzern gehört. Gemeinsam bieten die zwei Unternehmen integrierte Brems-, Lenk- und Fahrerassistenzsysteme an. Knorr-Bremse muss in der Digitalisierung am Ball bleiben. Hella wäre zwar eine Ergänzung gewesen, jedoch wegen der Dominanz des Pkw-Geschäfts mit einem Umsatzanteil von mehr als 80% keinesfalls die richtige.

Größe allein wäre aufgrund der unterschiedlichen Kundensegmente und der bisher klaren Ausrichtung der Münchner auf Nutz- und Schienenfahrzeuge kaum ein Vorteil gewesen: Die Synergien hätten sich in engen Grenzen halten, und die Abhängigkeit von Konjunkturzyklen mit dem Pkw-Geschäft zugenommen. Dessen Margen sind zudem geringer. Dass Knorr-Bremse eine Kehrtwende vollzogen hat, ist kein Beinbruch für das Unternehmen. Es gibt bestimmt besser geeignete Übernahmeziele, auf die das Unternehmen auch schon seinen Blick gerichtet haben dürfte.

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