Nach Insolvenz

HNA-Führungsriege geht es an den Kragen

Chen Feng machte die HNA Group zum „Verschuldungsweltmeister“. Das Unternehmen ist inzwischen Insolvent, Feng und der Führungsriege von HNA soll der Prozess gemacht werden.

HNA-Führungsriege geht es an den Kragen

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Mitten im Trubel um die Existenznöte des überschuldeten chinesischen Immobilienriesen Evergrande und die Ansteckungsgefahren im chinesischen Finanz- und Immobilienmarktgeschehen werden Reminiszenzen an die längst noch nicht bewältigte Insolvenz des einstigen Verschuldungsweltmeisters HNA Group wach. Die mit einem atemberaubenden schuldenfinanzierten globalen Akquisitionsrausch vor die Wand gefahrene HNA Group steht für einen der größten chinesischen Unternehmensskandale überhaupt, für den allerdings bislang niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Das dürfte sich schon bald ändern.

„Kriminelle Handlungen“

Kürzlich wurde seitens der HNA die Meldung verbreitet, dass der Chairman und HNA-Mitgründer Chen Feng sowie der Chief Executive Officer (CEO) Tan Xiangdong (Adam Tan) von der Polizei in der Provinz Hainan, dem Hauptsitz von HNA, in Gewahrsam genommen worden sind. Sie werden verdächtigt, „kriminelle Handlungen“ vorgenommen zu haben. Wie in China üblich werden zunächst keine weiteren Details genannt. HNA begnügt sich damit, darauf hinzuweisen, dass der im Januar 2021 förmlich in die Wege geleitete Insolvenz- und Sanierungsprozess für den vor allem im Luftfahrt- und Tourismus- und Logistikbereich breit aufgestellten Konzern wie geplant weiterlaufe. HNA hatte es mit ihrer völlig undurchsichtigen und geradezu bizarren Eigentümerstruktur seit jeher an Seriosität vermissen lassen. Allerdings war man im Markt der Überzeugung, dass die auf dem Papier private HNA genügend politische Verdrahtung aufweist beziehungsweise staatliche Rückendeckung genießt, um mit diskreten Unterstützungsmaßnahmen irgendwie über die Runden zu kommen.

Nun darf man gespannt sein, was die chinesische Obrigkeit der jahrelang auch politisch hofierten HNA-Führung zum Vorwurf macht. Es wird sicherlich eine Weile dauern, bis man Klarheit darüber hat, für welche kriminellen Machenschaften die anscheinend nicht nur glücklos, sondern auch gesetzesuntreu agierende HNA-Führungsriege belangt wird. Allerdings gibt es bereits einige Anhaltspunkte, in welche Richtung die Reise geht. Insbesondere die Verhaftung des 68-jährigen Chairman Chen ist für manche Beobachter der HNA-Saga nur eine Frage der Zeit gewesen.

Entmachtung

Chen hatte Ende Januar dieses Jahres und damit zeitgleich zum Ausruf des überaus komplizierten HNA-Insolvenzverfahrens offensichtlich seine bisherige „politische Rückendeckung“ verloren. So ließ eine neue Aufstellung des Parteikomitees der Gesellschaft den Namen Chen in der Besetzungsliste des neunköpfigen Gremiums vermissen. Das wiederum war gleichbedeutend mit einem totalen Machtentzug für die jahrzehntelang eminente Führungsfigur und lenkende Hand der HNA. Zwar blieb Chen Chef des Aufsichtsrates, jedoch kommt diesem Gremium in China nur eine Randfunktion zu, während das Parteikomitee stets die eigentliche Machtbasis abgibt.

Chen und sein im Sommer 2018 unter äußerst mysteriösen Umständen bei einem Frankreich-Aufenthalt verstorbener Kompagnon Wang Jian hatten im Jahr 1993 mit der zunächst regionalen Fluggesellschaft Hainan Airlines privaten Schwung in das von staatlichen Carriern dominierte chinesische Fluggeschäft gebracht. Mit zunehmenden Vorstößen im Hotel- und Touristikgeschäft wurde HNA zu einer treibenden Kraft für die Entwicklung der damals noch rückständigen Provinz Hainan als eine neue touristische Hochburg im Reich der Mitte. Das ehrgeizige Unternehmerduo entwickelte dann allerdings hochtrabende Ambitionen, die HNA Group zum Weltkonzern und einem Aushängeschild für den Globalisierungselan von „Corporate China“ zu machen.

Nun läuft seit sieben Monaten das extrem aufwendige Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren, bei dem es darum geht, das Konglomerat aufzuspalten, um daraus anhand von Spartenlinien vier eigenständige und tragfähige Unternehmensgruppen zu bilden. Damit kommt es zwangsläufig auch zu einer Aufdröselung eines atemberaubenden Beziehungsgeflechts der HNA Group zu Dutzenden von Gesellschaften, die allesamt von Familienmitgliedern von Chen, Wang und auch Tan gegründet und kontrolliert wurden.

Vetternwirtschaft

Laut einem jüngsten Bericht des Wirtschaftsmagazins „Caixin“ haben diese für mannigfaltige Zulieferdienste an HNA-Geschäfte aufkommenden Schachtelfirmen über die Jahre hinweg mit preisüberhöhten Lieferungen und Diensten Mittel bei HNA abgezweigt und zudem mit HNA-Bürgschaften versehene Kredite erhalten, die sie nie zurückzahlen mussten. Bei der HNA-Vetternwirtschaft dürfte es um veruntreute Milliardenbeträge gehen, für die Chen und Tan nun allem Anschein nach zur Rechenschaft gezogen werden. Und es gibt sogar Vermutungen, dass dabei auch neues Licht in die Umstände des Todes von Wang Jian gebracht werden könnte, was aus der HNA-Saga mehr als nur einen Finanzkrimi machen würde.

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