Kernkraft

Rafael Grossi – Atomdiplomat in atemloser Eile

Seit Dezember 2019 ist Rafael Grossi Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation. Von seinem diplomatischen Fingerspitzengefühl hängt viel ab – nicht nur wegen des Krieges in der Ukraine.

Rafael Grossi – Atomdiplomat in atemloser Eile

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Am besten wäre, es gäbe Rafael Mariano Grossi gleich zweimal. Von seinem diplomatischen Fingerspitzengefühl hängt viel ab. Der Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) muss sich in diesen Tagen um gleich zwei große Brandherde kümmern. Offenbar wurde in der Ukraine gerade eine nukleare Forschungsanlage zerstört. Grossi versucht, die Sicherheit der vier großen Atomkraftwerke in der Ukraine trotz des Krieges zu gewährleisten – und bemüht sich gleichzeitig, durch ein neues Abkommen mit dem Iran dort das Öl loszueisen, das schon bald aus Russland fehlen könnte. Vom Iran wird erwartet, dass er seine Öllieferungen nach Aufhebung der Sanktionen von täglich 1 Million Fässer auf 2,5 Millionen Fässer ausweiten könnte. Russland hatte bisher täglich 5 Millionen Fässer exportiert.

Vor drei Tagen twitterte Grossi atemlos: „Heute habe ich eine Erklärung mit dem Vizepräsidenten und Präsidenten der Atomenergieorganisation des Iran, Mohammad Eslami, unterzeichnet. Viel Arbeit vor uns.“

Am gestrigen Montag twitterte Grossi dann: „Ich habe dem Gouverneursrat der IAEA gesagt, dass wir alles tun müssen, um einen nuklearen Unfall in der Ukraine zu verhindern. Ich arbeite an meiner Initiative, um eine Einigung zu erzielen, um die Sicherheit der Kernkraftwerke der Ukraine zu gewährleisten.“

Seit Dezember 2019 ist Grossi Generaldirektor der IAEA – einer autonomen wissenschaftlich-technischen Organisation, die innerhalb des Systems der Vereinten Nationen einen besonderen Status innehat. Die Behörde berichtet regelmäßig der Generalversammlung der Vereinten Nationen und darüber hinaus dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wenn sie eine Gefährdung der internationalen Sicherheit feststellen – was derzeit wohl nahezu täglich der Fall sein dürfte.

Der 61 Jahre alte Grossi, der verheiratet ist und acht Kinder hat, studierte Politikwissenschaften an der Päpstlichen Katholischen Universität von Argentinien sowie Internationale Beziehungen am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien. Dort promovierte er in Geschichte und Politik.

Grossi bringt alles mit, was es in dieser außergewöhnlichen Krise braucht: 1985 trat er in den argentinischen diplomatischen Dienst ein und war zunächst in der Abteilung für nukleare Angelegenheiten und Abrüstung tätig. Von 1998 bis 2002 war er Leiter der Kanzlei der argentinischen Botschaft in Brüssel, vertrat Argentinien von 1998 bis 2001 bei der Nato und war von 2002 bis 2007 Kabinettschef des Generaldirektors der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag. Anschließend war er zunächst als Sonderberater der argentinischen Raumfahrtbehörde Comisión Nacional de Actividades Espaciales tätig, ab 2008 auch als Generaldirektor für politische Angelegenheiten im Büro des argentinischen Außenministers. Von 2010 bis 2013 war er stellvertretender Generaldirektor und Kabinettschef des Generaldirektors der IAEO, bevor er zum argentinischen Botschafter in Österreich und ständigen Vertreter bei der IAEO mit Sitz in Wien ernannt wurde. Von 2014 bis 2016 war Grossi Präsident der Nuclear Suppliers Group – einer Staatenvereinigung zur Nicht-Weiterverbreitung von Atomwaffen.

Jetzt dringt der IAEA-Generaldirektor erneut auf Verhandlungen mit der Ukraine und Russland über Sicherheitsgarantien für die vielen Atomkraftwerke und Nukleareinrichtungen in der Ukraine. „Wir sollten keine Zeit verlieren. Fast jeden Tag kommt es zu einem Vorfall.”

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