Mobilität

Autonomes Fahren: Höchste Zeit für einen Rechtsrahmen

Der deutsche Gesetzgeber wollte sich eine Vorreiterrolle in der Regulierung des autonomen Fahrens sichern, könnte aber nun von der EU überholt werden.

Autonomes Fahren: Höchste Zeit für einen Rechtsrahmen

Von Patrick Ayad und Susanne Schuster*)

Der Einsatz von innovativer Technologie für automatisierte und vernetzte Fahrsysteme auf deutschen Straßen schreitet voran. So gewährte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) Mercedes im Dezember 2021 die weltweit erste Typgenehmigung für ein automatisches Spurhaltesystem (Automated Lane Keeping System oder kurz ALKS) für den Drive Pilot der Mercedes S-Klasse. Die Typgenehmigung beruht auf der internationalen UN-Regelung Nr. 157, die im Juni 2020 von dem World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations (WP.29) der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) verabschiedet wurde und im Januar 2021 in Kraft trat.

Nach Aktivierung kann ein automatisches Spurhaltesystem das Fahrzeug durch Steuerung der Längs- und Querbewegungen über längere Zeit in seiner Fahrspur halten. Eine Steuerung durch den Fahrzeugführenden ist nicht notwendig. Aktuell erlaubt die Regelung den Einsatz eines automatischen Spurhaltesystems nur auf Autobahnen (oder autobahnähnlichen Straßen) mit einer Fahrgeschwindigkeit bis zu 60 km/h. Über Erweiterungen des Anwendungsbereichs wird aktuell diskutiert.

Höhere Automatisierung

Auch wenn der Mensch hinter dem Steuer sich bei aktiviertem automatischem Spurhaltesystem zeitweilig anderen Tätigkeiten als dem Fahren zuwenden kann, ist seine Anwesenheit und stetige Verfügbarkeit im Fahrzeug noch zwingend notwendig. Die Steuerung muss im Notfall wieder übernommen werden können.

Doch was ist mit Fahrzeugen, die (zumindest in bestimmten Betriebsbereichen) ohne menschliche Unterstützung und Überwachung fahren können? Das sind vor allem Fahrzeuge, die mit automatisierten Fahrsystemen der ISO/SAE Stufe 4 ausgestattet sind, bei denen eine menschliche Übernahme der Steuerung nicht mehr erwartet wird. Weltweit, und schwerpunktmäßig in Europa, arbeiten Gesetzgeber gerade an der Schaffung eines Rechtsrahmens, um die Technologie im Regelbetrieb in den öffentlichen Straßenverkehr einzuführen. Allen voran der deutsche Gesetzgeber schien sich eine Vorreiterrolle sichern zu wollen.

So konnte im Juli 2021 der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer noch stolz das Inkrafttreten des deutschen Gesetzes zum autonomen Fahren begleiten. Im Zuge dieser Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes wurde ein grundsätzlicher Rechtsrahmen für den Regelbetrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomen Fahrfunktionen in festgelegten Betriebsbereichen geschaffen, entsprechend der ISO/SAE Stufe 4. Schwerpunktmäßig sollten damit kommerzielle Einsatzszenarien wie Shuttle-Verkehr oder sogenannte People Mover und Hub2Hub-Verkehre bedient werden. Auch wenn andere europäische Staaten wie Frankreich, die Niederlande oder England gleichermaßen strebsam an der Ausarbeitung solcher Regelungen arbeiten, war Deutschland der erste Staat weltweit, der eine solche Regelung geschaffen hat.

Der bislang bestehende deutsche Rechtsrahmen ist aber noch nicht vollständig. Was noch fehlt, ist die Durchführungsverordnung, die die technischen Anforderungen und Verfahrensregelungen für die Erteilung von Genehmigung und Zulassung sowie Sorgfaltsvorschriften für beteiligte Personen festlegen soll. Für die Verordnung wurde letztes Jahr ein Entwurf veröffentlicht, über welchen die EU-Kommission gemäß offiziellem Verfahren bereits im Juni unterrichtet wurde. Die in dem Notifizierungsverfahren vorgesehene Stillhaltefrist ist längst abgelaufen, eine Finalisierung des Entwurfs auf Seiten des deutschen Gesetzgebers blieb aber bislang aus.

Maßgeblich Schuld an dieser Verzögerung hat wohl der Regierungswechsel. Im Zuge der Wahlen im September letzten Jahres und der darauf erfolgten Neubildung der Regierung in Form der Ampel-Koalition standen (neben Corona) erst mal andere Themen im Vordergrund.

Obwohl von der alten Regierung geplant war, dass Fahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen schon 2022 auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen, sind aktuell noch keine neuen Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren zu verzeichnen. Ausweislich der veröffentlichten Agenda dürfte die Verordnung auch bei der nächsten Sitzung des Bundesrats am 11. Februar keine Rolle spielen. Ebenso scheint das neu gebildete Bundesministerium für Digitales und Verkehr, dem nun Volker Wissing vorsteht, bislang noch nicht in dem Bereich aktiv geworden zu sein.

Um seine angestrebte Vorreiterrolle im Bereich des autonomen Fahrens nicht zu verschlafen, müsste der deutsche Gesetzgeber nun schnell wieder Fahrt aufnehmen. Gerade auf Seiten der EU sind derzeit einige positive gesetzgeberische Entwicklungen zu verzeichnen, die die deutschen Pläne überholen (oder gar überflüssig machen) könnten. So arbeitet die EU-Kommission sehr aktiv an der Schaffung eines Rechtsrahmens für automatisierte Fahrsysteme (ADS) auf ISO/SAE Stufe 4. Zum einen wird die zunehmende Automatisierung und Vernetzung von automatisierten Fahrzeugen im Entwurf für eine EU-KI-Verordnung thematisiert, zum anderen sollen die Voraussetzungen für die Typgenehmigung von Fahrzeugen mit automatisiertem Fahrsystem einheitlich festgelegt werden. Die in allen Mitgliedstaaten der EU geltende Typgenehmigungsrahmenverordnung legt harmonisierte Regeln für die Genehmigung und Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen fest, enthält aktuell aber noch keine Regelungen für automatisierte Fahrsysteme.

Flexibilität ist wichtig

Das soll sich bereits dieses Jahr in Form einer EU-ADS-Verordnung ändern. Die letzte Fassung des Entwurfs für eine EU-ADS-Verordnung wurde im Dezember 2021 veröffentlicht. Im Laufe des letzten Jahres hat sich dieser Entwurf, der anfangs von vielen Unklarheiten in Sprache und Terminologie geprägt war, in eine sehr positive Richtung entwickelt.

Während man in ursprünglichen Versionen den Eindruck bekommen konnte, dass der EU-Gesetzgeber bei den Regelungen eher ein veraltetes Bild der Industrie und die traditio­nelle Zulieferer-Automobilhersteller-Rollenverteilung im Kopf hatte, zeichnet sich der Entwurf mittlerweile durch mehr Modernität und insbesondere Flexibilität aus. Flexibilität ist wichtig bei der Regulierung solcher innovativen Technologien. Denn aktuell kann niemand vorhersehen, wie sich die Technologie und die Industrie entwickeln werden.

Die verschiedenen Akteure im Bereich des autonomen Fahrens feuern diese Entwicklungen an. Wir sehen immer mehr Teilnehmer aus dem Technologiebereich, die selbst versuchen, autonome Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig denken traditionelle Player um, was kürzlich erst durch die von Volks­wagen (Tochtergesellschaft Cariad) und Bosch verkündete Allianz zur gemeinsamen Softwareentwicklung für autonomes Fahren deutlich wurde. Der Entwurf für die EU-ADS-Verordnung bleibt nun offen für neue Akteure oder Industriepartnerschaften aller Art. Das ist ein bedeutender Schritt. Denn für die Genehmigung der Technologie ist entscheidend, dass das Unternehmen, das die Fahrzeuge auf den Markt bringt und dafür das Genehmigungsverfahren durchläuft, ausreichende Sicherheit und Expertise gewährleisten kann. Das schließt auch die Übernahme der damit zusammenhängenden regulatorischen Pflichten ein. Alles andere würde dem Fortschritt der Technologie im Weg stehen.

An den Entwicklungen auf Ebene der EU sollte sich auch der deutsche Gesetzgeber ein Beispiel nehmen, sobald die Finalisierung der Verordnung weiter vorangetrieben wird. Sollte der europäische Gesetzgeber aber sein Tempo fortsetzen, kommt es darauf vielleicht gar nicht mehr an. Der europäische Rechtsrahmen würde den deutschen Regelungen nämlich grundsätzlich vorgehen.

Die EU-ADS-Verordnung muss noch eine öffentliche Konsultation und Abstimmung der Mitgliedstaaten durchlaufen. Sollte dies in diesem Frühjahr noch gelingen, so könnte ihr Inkrafttreten wie bislang geplant noch im Juli 2022 erfolgen.

*) Dr. Patrick Ayad ist Partner von Hogan Lovells, Susanne Schuster ist Rechtsanwältin im Münchner Büro der Kanzlei.

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