Cäcilie Lüneborg; Schilling, Zutt & Anschütz

Beschwerdesysteme attraktiv und effizient gestalten

Im Jahr 2022 wird eine noch nie dagewesene Vielzahl von Unternehmen sich mit Beschwerdemechanismen befassen. Lieferkettengesetz und Whistleblower-Richtlinie zwingen Deutschlands Firmen, interne Meldekanäle einzurichten.

Beschwerdesysteme attraktiv und effizient gestalten

Frau Dr. Lüneborg, es gibt neue Regularien für Hinweisgebersysteme in Unternehmen. Was zeichnet sich ab?

Wir gehen davon aus, dass in den kommenden beiden Jahren viele Unternehmen ihre bestehenden Be­schwerdesysteme überprüfen und an­passen oder aber erstmals einrichten: Die bis Mitte Dezember in deutsches Recht umzusetzende EU-Whistle­blower-Richtlinie verpflichtet selbst Unternehmen ab 50 Mitarbeitern zur Einrichtung eines internen Meldekanals. Auch das neue Lieferkettengesetz enthält die Pflicht zur Eröffnung eines Beschwerdemechanismus.

Wer sollte was über das Hinweisgebersystem melden können?

Heute lassen viele Unternehmen nur Meldungen von Mitarbeitern zu. Das ist rechtlich in Ordnung und entspricht auch dem Mindeststandard der Richtlinie. Das Lieferkettengesetz geht darüber jedoch hinaus: Jedermann muss künftig die Möglichkeit haben, Unternehmen Verletzungen von Menschenrechten oder grundlegenden Umweltstandards in der gesamten Lieferkette zu melden. Kann ein Unternehmen einen Hinweis auf Korruption unbeachtet lassen, den es über den für Menschenrechts- und Umweltverstöße reservierten Beschwerdemechanismus erhält? Sicher nicht. Kann ein Unternehmen wollen, dass Hinweisgeber vorrangig öffentliche Meldekanäle nutzen? Nein, es würde sonst die eigenen Reaktionsmöglichkeiten be­schränken. Wir empfehlen daher, zukünftig sowohl den Kreis der Beschwerdeberechtigten als auch der weiterverfolgten Meldeinhalte möglichst weit zu fassen.

Wie können Unternehmen bestmöglich von der Umsetzung der neuen Pflichten profitieren?

Die Richtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten­, externe Meldekanäle zu eröffnen. Wer verhindern will, dass Hinweisgeber sich unmittelbar an staatliche Meldestellen wenden, muss den internen Meldekanal möglichst attraktiv, unabhängig, effizient und transparent ausgestalten. Ohnehin sollte eine Speak-up/Listen-up-Kultur integraler Be­standteil der DNA jedes modernen Unternehmens sein. Dazu gehört neben Hinweisgeberschutz auch der – gesetzlich leider unterbelichtete – Schutz gegen falsche Beschuldigungen.

Welche Kommunikationswege sind in den Unternehmen zweckmäßig?

Viele Unternehmen lassen gegenwärtig lediglich Meldungen per Post und/oder E-Mail zu. Zusätzlich sollten sie eine Telefonhotline und – je nach Unternehmensgröße – eine webbasierte Lösung in Erwägung ziehen, da Beschwerdemechanismen nach dem Lieferkettengesetz „barrierefrei“ ausgestaltet sein müssen. Dieses Erfordernis ist – insbesondere vor dem Hintergrund von Verständnishürden wie fehlender Kenntnis einer Weltsprache und Analphabetismus – mit beträchtlicher Rechtsunsicherheit behaftet.

Sollte es die Möglichkeit anonymer Meldungen geben?

Ja, schon um öffentliche Meldekanäle nicht attraktiver erscheinen zu lassen. Als Gegenargument wird häufig das Missbrauchspotenzial angeführt. Eine aktuelle Studie von EQS widerlegt diesen Vorbehalt jedoch eher, als dass sie ihn bestätigt: In Deutschland hatte nur jede zehnte Meldung nicht wahrheitsgemäße Inhalte. Dieser Wert lag auch bei Unternehmen nicht höher, die anonyme Hinweise erlauben. Gleichwohl gilt: Unternehmen müssen zu Unrecht Beschuldigte schützen, etwa durch ein striktes Nein zu einer Vorverurteilungs- und Vorwurfskultur.

Werden unternehmensübergreifende Beschwerdemechanismen mehr Bedeutung bekommen?

Eine im Auftrag des BMJV erstellte und jüngst veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass unternehmensübergreifende Beschwerdemechanismen wie etwa der sogenannte Bangladesh Accord eine Reihe von Vorteilen aufweisen: Sie gewährleisten etwa kontinuierliche regionale Zugänglichkeit, Effizienzgewinne und eine höhere Unabhängigkeit. Zwar akzeptiert das Lieferkettengesetz die Beteiligung an Branchenlösungen. Unternehmen mit Gruppengesellschaften im Ausland müssten indes zunächst prüfen, ob sie ihren gesetzlichen Verpflichtungen in allen relevanten Jurisdiktionen nachkommen. Zudem bieten sich vor allem Synergien für Unternehmen, die derselben Branche angehören und über eine gewisse Übereinstimmung bei der Lieferantenauswahl verfügen. Daher deutet einiges darauf hin, dass Branchenlösungen in der Minderzahl bleiben.

Dr. Cäcilie Lüneborg ist Senior Associate bei SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Frankfurt.

Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.