Compliance

Das Ende konzernweiter Hinweisgebersysteme?

Die EU verlangt dezentrale Whistleblower-Systeme auch in abhängigen Unternehmen, doch es gibt Möglichkeiten, die Vorgaben ohne den Aufbau paralleler Meldestrukturen zu erfüllen.

Das Ende konzernweiter Hinweisgebersysteme?

Von Jürgen Taschke, Daniel Zapf und Tobias Pielow*)

Unternehmen mit entwickelten Compliance-Management-Systemen hatten möglicherweise die Vorstellung, gut auf die Anforderungen der EU-Richtlinie zum Schutz von Hinweisgebern vorbereitet zu sein und allenfalls noch geringe Justierungen in Betracht ziehen zu müssen. Das könnte ein Irrtum gewesen sein. Die Hinweisgeberrichtlinie verlangt, dass Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern Meldekanäle für Hinweisgeber betreiben und Prozesse zur Bearbeitung der eingehenden Meldungen etablieren.  Es ist heute in international tätigen Konzernen gängige Praxis, zentralisierte Hinweisgebersysteme für alle Konzerngesellschaften vorzuhalten und eingehende Meldungen gebündelt, etwa bei der Muttergesellschaft, zu bearbeiten.

Dänemark und, neben verschiedenen Unternehmen, BDA und BDI hatten Zweifel, ob die bisherige Handhabung ausreicht. Auf Nachfrage erklärte die EU-Kommission, dass zwingend jedes Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern über ein eigenes Meldesystem verfügen müsse­ und ausschließlich konzernweite Meldesysteme nicht genügen. Namhafte europäische Unternehmen, deren Compliance-Management-Systeme zweifelsohne zu den besten der Welt gehören, haben ausführlich ihre Vorbehalte formuliert: Es sei in europäischen Konzernen üblich, zentralisierte Hinweisgebersysteme zu betreiben. Ohne ein zentralisiertes Hinweisgeber- und Aufklärungssystem sei ein einheitlicher Umgang mit Hinweisen und Hinweisgebern im Konzern nicht gewährleistet. Ebenso bestünde ein Risiko für den Hinweisgeber, sofort identifiziert zu werden, wenn die Meldung auf der Ebene der Tochtergesellschaft erfolge. Auch sei es unangemessen, einem Hinweis auf dieser Ebene nachzugehen, sofern die Geschäftsleitung der Gesellschaft möglicherweise in das unrechtmäßige Verhalten involviert sei. Eine zentrale Bearbeitung von Hinweisen sei zudem wichtig, um ein einheitliches Vorgehen konzernweit zu gewährleisten und um systematisches Fehlverhalten in der Gruppe effektiv identifizieren zu können.

Die EU-Kommission sah keine Veranlassung, von ihrer Auffassung abzuweichen. Der Wortlaut der Richtlinie sei eindeutig, und alle Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten benötigten ein eigenes Hinweisgebersystem. Dadurch sei die Effizienz der Meldewege gewährleistet. Dies sei notwendig, da insbesondere in länderübergreifenden Konzernen aufgrund der voraussichtlich abweichenden Umsetzung der EU-Vorgaben in das jeweilige nationale Recht unterschiedliche Regelungen zu beachten seien.

So sind in der Tat verschiedene Fristen zur Rückmeldung an den Hinweisgeber denkbar. Auch kann das Recht des Hinweisgebers, ein persönliches Treffen in dem Unternehmen zu verlangen, in dem er  beschäftigt ist, national mit einem gewissen Spielraum umgesetzt werden. Zugleich hebt die EU-Kommission hervor, dass die Richtlinie die notwendige Flexibilität erlaube und zentralisierte Hinweisgeber- und Aufklärungssysteme neben lokalen Meldesystemen der Gruppengesellschaften bestehen bleiben oder eingerichtet werden könnten.

So sei es zum Beispiel durchaus möglich, ein zentralisiertes Hinweisgebersystem in allen Gruppenunternehmen zu bewerben und die Mitarbeiter zu ermutigen, dieses zu nutzen. Auch könne eine Gruppentochter Hinweise auf systematische oder gruppenweite Verfehlungen gruppenintern weitergeben, sofern der Hinweisgeber dem zustimme. Auch dürften die Ermittlungsergebnisse auf Konzernebene mitgeteilt werden, zum Beispiel für Compliance- oder Corporate-Governance-Zwecke oder Audits, solange die Vertraulichkeit gewährleistet sei.

Mit der „Segelanweisung“ der Kommission lässt sich arbeiten. Unternehmen steht es offen, auf den Webseiten der Mutter- und der jeweiligen Gruppengesellschaft auf das konzernzentrale Hinweisgebersystem zu verweisen. Meldungen können mit geringem Aufwand nach der Präferenz des Hinweisgebers zur Mutter oder lokalen Tochter gelenkt werden. Der Hinweisgeber, der Ansprache vor Ort haben möchte, kann sie bekommen.

Keine unlösbare Aufgabe

Auch ist eine standardisierte Bearbeitung der Meldungen unter Beachtung der nationalen Anforderungen möglich. Die Aufklärung der Angaben des Hinweisgebers kann, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf Konzernebene erfolgen. Der Aufbau paralleler Strukturen ist nicht notwendig. Die Anforderungen der EU-Kommission werden zusätzliche Kosten verursachen, sollten allerdings Unternehmen nicht vor unlösbare Aufgaben stellen.

Die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten haben noch bis Ende dieses Jahres Zeit, die europäischen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Auch Unternehmen können bis dahin sinnvolle Konzepte entwickeln. Es ist möglich, die konzernweiten Hinweisgebersysteme vollständig beizubehalten und maßgeschneiderte lokale Ergänzungen unter Beachtung der länderspezifischen Besonderheiten zu etablieren. So zentral wie möglich, so dezentral wie notwendig, lautet die Devise.

*) Prof. Dr. Jürgen Taschke ist Senior Counsel, Dr. Daniel Zapf Counsel und Dr. Tobias Pielow Associate bei DLA Piper in Frankfurt.