Klimaklagen

Deutscher Wirtschaft droht Prozesswelle

Umweltverbände versuchen verstärkt ihre Interessen vor Gericht durchzusetzen. Die Kläger stoßen auf Verfassungs- und zivilrechtliche Hürden.

Deutscher Wirtschaft droht Prozesswelle

Von Uwe M. Erling und

Anke Sessler*)

Die jüngste Welle von Klimaklagen gegen deutsche Autohersteller und Wintershall Dea ist ein Novum im Recht. Dass Unternehmen oder ihre Kunden auf Grundlage öffentlich-rechtlicher Genehmigungen oder im Rahmen einer sektorspezifischen Regulierung durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber rechtmäßig Treibhausgase ausstoßen, soll nichts mehr wert sein. Die Kläger wollen die Geschäftstätigkeit von Unternehmen mit dem Argument, sie müssten künftig in ihren Grundrechten überproportional eingeschränkt werden, wenn nicht der CO2-Ausstoß der beklagten Unternehmen über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus reduziert würde, durch Gerichte beschneiden lassen.

Als Vorbild dient das Shell-Urteil aus den Niederlanden, als Grundlage wird der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz angeführt. Alles deutet darauf hin, dass die Klagen gegen die deutsche Automobilindustrie und Wintershall Dea erst der Anfang sind. Denn die Argumentation der Kläger – so sie denn verfangen würde – lässt sich zwanglos auf andere Sektoren übertragen, die unmittelbar oder mittelbar in erheblichen Mengen Treibhausgase ausstoßen.

Im September bzw. Oktober haben Mitglieder der Deutsche Umwelthilfe Klagen gegen BMW, Mercedes und Wintershall Dea eingereicht. Anfang November folgte eine Klage von Greenpeace-Mitgliedern gegen VW. Die Umweltverbände fordern von den Unternehmen, Aktivitäten, bei denen Treibhausgase entstehen, nach Ablauf eines bestimmten Datums zu unterlassen. Damit unterscheiden sich diese Klagen in ihrer Zielrichtung von der prominenten Klimaklage eines peruanischen Landwirts gegen RWE. Dieser begehrt Schadenersatz für den Bau eines Damms zum Schutz vor dem Überlaufen eines oberhalb seines Hauses gelegenen Gletschersees infolge des Klimawandels. Er begehrt 0,47% der Gesamtkosten als Schadenersatz, weil der Anteil von RWE an den globalen Treibhausgasen seit Beginn der Industrialisierung etwa 0,47% betrage.

Zweckentfremdung

Die neuen Klimaklagen sind der Versuch einer Zweckentfremdung des Klimabeschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur einzelfallbezogenen Verschärfung allgemeiner Regulierungen durch die Zivilrechtgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März anlässlich von vier Verfassungsbeschwerden ein neues Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung geschaffen. Nach der einstimmigen Auffassung des Gerichts war der im Klimaschutzgesetz angelegte Pfad zur Reduktion von Treibhausgasen ab 2030 verfassungsrechtlich unzureichend geregelt. Es sei mit der Verfassung unvereinbar, wenn einer Generation zugestanden werde, unter vergleichsweiser milder Reduktionslast große Teile des Treibhausgasbudgets zu verbrauchen, wenn damit den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt werde. Der Gesetzgeber hat daraufhin das Klimaschutzgesetz umgehend nachgebessert.

Das Gericht hat dem Weltklimarat und dem Sachverständigenrat für Umweltfragen folgend zudem einen CO2-Budgetansatz übernommen. Hierbei wird die maximal zulässige Temperaturschwelle des Pariser Klimaabkommens von „deutlich unter 2°C und möglichst 1,5°C“ in ein CO2-Restbudget umgerechnet. Das Gericht hat festgestellt, dass das nationale Restbudget von 6,7 Gigatonnen ab 2020 durch die nach dem Klimaschutzgesetz zugelassenen Emissionsmengen bis 2030 fast vollständig aufgebraucht sein wird. Es hat von einer verfassungsrechtlichen Beanstandung aufgrund der in der Berechnung des Restbudgets enthaltenen Unsicherheiten nur vorläufig abgesehen und sich dezidiert vorbehalten, einen noch strengeren Reduktionspfad vom Gesetzgeber zu verlangen.

Dem Budgetansatz des Bundesverfassungsgerichts folgen die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace, indem sie für die deutschen Autohersteller ein CO2-Restbudget berechnen und ausgehend hiervon ab dem Jahr 2030 einen Stopp des Verkaufs von Autos mit Verbrennungsmotoren und bereits zuvor erhebliche Reduzierungen ableiten. Nur soll nicht der Gesetzgeber tätig werden, sondern die Gerichte. Das ist vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung schon im Ansatz verfehlt. Sollten sich die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels als unzureichend erweisen, wäre es ureigenste Aufgabe des Gesetzgebers, durch allgemeingültige Vorschriften nachzubessern.

Das Bundesverfassungsgericht hat beispielsweise entschieden, dass die Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung von Kernenergie wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheits- und Gleichheitsbereich sowie die allgemeinen Lebensverhältnisse, eine grundlegende und wesentliche Entscheidung ist, die allein der Gesetzgeber treffen darf. Nichts anderes kann für die komplexen Abwägungen von Grundrechten im Rahmen des Kampfes gegen den Klimawandel gelten.

Auch zivilrechtlich stoßen die Klagen an die Grenzen des geltenden Rechts. Die vor deutschen Gerichten anhängigen Verfahren stützen sich auf zivilrechtliche Abwehr- bzw. Schadenersatzansprüche und müssen demnach auch den zivilrechtlichen Prinzipien, insbesondere zur Kausalität, genügen. Die Klagen gegen Mercedes, BMW, Volkswagen und Wintershall Dea – ebenso wie die Klage gegen RWE – beruhen auf einem zivilrechtlichen Abwehranspruch, der absolute Rechte wie Eigentum, Leben, Gesundheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht schützt. Voraussetzung ist stets, dass die Person, gegen die sich der Anspruch richtet, „Störer“ ist. Das ist für die hier vorliegenden Fälle (nur) derjenige, der die Beeinträchtigung selbst oder – im Falle der Emissionen durch PKW – durch Dritte adäquat kausal verursacht und in der Lage ist, sie zu verhindern.

Für die Kausalität ist neben wertenden Gesichtspunkten maßgeblich und von den Klägern zu beweisen, dass die drohende Beeinträchtigung bei Hinwegdenken der Verursachungsbeiträge der beklagten Unternehmen nicht bestehen bzw. nicht entstehen würde. Angesichts der Vielzahl von globalen Emissionen, gegenüber welchen die der beklagten Unternehmen verschwindend gering sind, und der Wechselwirkungen, beispielsweise durch die Speicherung von CO2, ist fraglich, ob ein solcher Kausalitätsnachweis geführt werden kann.

Auch der zweite Aspekt – die Beherrschbarkeit der Beeinträchtigung – ist hier höchst fraglich. Denn beispielsweise die Automobilhersteller können die Emissionen durch die bereits in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge nicht mehr beeinflussen. Dies liegt in der Hand der Käufer. Hinzu kommt, dass die Beschränkung einzelner Automobilhersteller nur dazu führen würde, dass die Käufer bei anderen Herstellern kaufen würden. Die Berechnungen der Kläger berücksichtigen zudem nicht die Auswirkungen etwaiger überproportionaler CO2-Einsparungen in anderen Sektoren, weil sie technische Fortschritte bei der Reduzierung von CO2 naturgemäß nicht viele Jahre im Voraus prognostizieren können, aber auch weil sie auf einer starren Verteilung des CO2-Budgets auf die verschiedenen Sektoren beruhen.

Die Deutsche Umwelthilfe hat die beklagten Unternehmen nach eigenen Angaben deshalb ausgesucht, weil sie (i) zu den größten Unternehmen in Deutschland gehören, (ii) global agieren und (iii) angeblich bisher keine (ausreichenden) verbindlichen Aussagen getroffen haben, wie sie ihr Handeln auf die Anforderungen an Klimaschutz und Grundrechtssicherung anpassen wollen.

Auch Banken im Fokus

Die bisherigen Klagen konzentrieren sich auf den Sektor Verkehr, der zweifelsohne in erheblichem Maße CO2 ausstößt, allerdings – laut Angaben des Bundesministeriums für Umwelt – in deutlich geringerem Umfang als die Energiewirtschaft und die Industrie. Knapp hinter dem Verkehr folgt der Sektor Gebäude. Legt man die Kriterien und Zielrichtung der Kläger an, ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch die großen Unternehmen aus diesen Sektoren – sowie die sie finanzierenden Banken – verklagt werden.

*) Uwe M. Erling ist Partner von Pohlmann & Company Rechtsanwälte, Dr. Anke Sessler Partner von Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom.

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