GastbeitragDe-Risking in Europa

EU zieht die Zügel in der Investitionskontrolle an

Die EU-Kommission verschärft die Investitions- und Exportkontrolle. Schädlicher Protektionismus oder notwendiger Selbstschutz? Die Meinungen gehen auseinander.

EU zieht die Zügel in der Investitionskontrolle an

EU zieht die Zügel in der Investitionskontrolle an

Vorstoß für mehr Harmonisierung beim De-Risking in Europa – Mitgliedstaaten sollen besser zusammenarbeiten

Von Marius Boewe *)

Europa ist vorsichtiger geworden. Die Folgen der Corona-Pandemie und des Krieges Russlands gegen die Ukraine haben gezeigt, wie angreifbar die EU-Wirtschaft ist. „De-Risking“ lautet das Stichwort, wenn es darum geht, Maßnahmen zur Minimierung der Risiken, die sich aus bestimmten wirtschaftlichen Abhängigkeiten im Zeitalter zunehmender internationaler Spannungen unter Beibehaltung wirtschaftlicher Offenheit zu ergreifen.

Im Juni 2023 veröffentlichte die EU-Kommission eine Strategie für wirtschaftliche Sicherheit in der Union. Mit fünf Initiativen legt sie nun nach: Investitionen, die ein Sicherheitsrisiko für Europa darstellen, sollen untersagt werden können. Schädlicher Protektionismus oder notwendiger Selbstschutz? Die Meinungen gehen auseinander.

Absicherung gegen China

Auch wenn es in keinem Dokument explizit steht: Die Europäische Union sichert sich insbesondere gegenüber China ab. Bis Ende 2023 lag der Kapitalbestand von Direktinvestitionen aus China bei rund 250 Mrd. US-Dollar. Unter Berücksichtigung von Großbritannien und der Schweiz waren es sogar deutlich über 400 Mrd. Dollar.

Für Deutschland ist China weiterhin der wichtigste Handelspartner und mit rund 52 Mrd. Dollar chinesischer Direktinvestitionen Spitzenreiter innerhalb der Europäischen Union. Der Abstand zu anderen Ländern verringert sich allerdings. Tatsächlich waren im letzten Jahr Ungarn (mit 4,3 Mrd. Dollar) und Schweden (mit 1,3 Mrd. Dollar) die Länder mit dem größten Kapitalzufluss.

Mit ihrem jüngsten Vorstoß will die EU jedenfalls die Zügel bei der Investitions- und Exportkontrolle sowie der Überwachung von Gütern mit doppelter Verwertungsmöglichkeit (Dual Use) nochmals anziehen und die Mitgliedstaaten dabei vor allem zu besserer Zusammenarbeit anhalten. Ein Kernpunkt ist die Novelle der EU-Verordnung über das Screening ausländischer Direktinvestitionen (EU) 2019/452 (Foreign Direct Investment (FDI) Screening Regulation), die im Oktober 2020 in Kraft trat.

Kooperationsmechanismus

Die FDI-Screening-Verordnung führte kein eigenes europäisches Prüfverfahren ein. Geschaffen wurde vielmehr ein Kooperationsmechanismus, über den sich die Mitgliedstaaten und die Kommission möglichst schnell und effizient über ausländische Direktinvestitionen austauschen sollen, um solche zu verhindern, die ein Risiko für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in der EU oder einzelner Mitgliedstaaten darstellen können.

Besonders in den Blick genommen werden Investitionen in 14 als sicherheitsrelevant eingestuften Technologien, darunter vorrangig die Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz, Halbleitertechnik und Biotechnologie. Ab welcher Größenordnung eine Transaktion als sicherheitsrelevant einzustufen ist, soll erst noch festgelegt werden.

Unterschiedliche Maßstäbe

Mehr als 1.200 ausländische Direktinvestitionen wurden bisher geprüft. Ein nach einem EU-weiten Konsultationsverfahren im November 2023 vorgelegter Evaluationsbericht ergab, dass der Kooperationsmechanismus der FDI-Screening-Verordnung „erheblich dazu beigetragen“ hat, risikoreiche FDI-Transaktionen zu ermitteln. Allerdings wird auch festgestellt, dass der bestehende Mechanismus zu viele unkritische Meldungen erfasst, sprich Transaktionen von Mitgliedstaaten gemeldet werden, bei denen von vornherein absehbar war, dass keinerlei Reaktion erfolgen wird.

Nach Ansicht vieler hat die Verordnung außerdem bislang nicht zu der gewünschten Harmonisierung der nationalen Vorschriften für ausländische Direktinvestitionen geführt. Bereits der Evaluationsbericht benennt einige Reformvorschläge, um die Wirksamkeit des FDI-Screenings zu verbessern. Fakt ist, dass bis heute nicht alle EU-Staaten gleich stark mitziehen.

Die nationalen Regime legen unterschiedlich strenge Maßstäbe an. In Irland wird ein entsprechendes System aktuell eingeführt. Bulgarien, Griechenland, Kroatien und Zypern haben mit den entsprechenden Prozessen jetzt erst begonnen. Nach dem Vorschlag der Kommission soll das Instrument der Investitionsprüfung künftig in allen 27 Mitgliedstaaten verbindlich werden.

Kritische Fälle übersehen

Dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Praxen bezüglich der europäischen Meldung unterhielten, hat sich schon bisher als Hemmschuh in der Praxis erwiesen. Deutschland verfolgt hier einen zurückhaltenden Ansatz, indem nur sogenannte Phase II-Verfahren der EU gemeldet werden, was weniger als 10 Prozent der durchgeführten Prüfverfahren entspricht. Dieser zurückhaltende Ansatz, das EU-Screening-Verfahren nur mit wesentlichen Verfahren zu bedienen, scheint allerdings die Leitlinie der Kommission bei der aktuellen Novelle zu sein.

Problem der Heterogenität

Das Hauptproblem der Heterogenität der autonomen Verfahren besteht derzeit darin, dass kritische Fälle übersehen werden, weil die von den nationalen Vorschriften abgedeckten Bereiche des Investitionsscreenings nicht harmonisiert sind. Sinnvoll wären hier Leitlinien, die präzisieren, ob bestimmte Geschäftstätigkeiten unter die als kritisch eingestuften Sektoren fallen.

In der Transaktionspraxis erweist sich zudem die fehlende Harmonisierung der Fristen der Investitionskontrollsysteme der Mitgliedstaaten immer wieder als problematisch. Wenn eine Transaktion in mehreren Ländern eine Meldepflicht auslöst, kann durch unterschiedliche Einreichungszeitpunkte eine erhebliche Verzögerung des Screenings auf EU-Ebene eintreten. Dies soll dadurch verhindert werden, dass in solchen Fällen künftig alle Meldungen innerhalb der EU am gleichen Tag unter gegenseitiger Bezugnahme erfolgen sollen.

Auch EU-Gesellschaften unter Drittland-Kontrolle erfasst

Neu ist, dass nicht nur Investitionen durch Unternehmen aus Drittstaaten geprüft werden sollen, sondern auch solche innerhalb der EU, bei denen der Investor seinerseits durch ein Unternehmen aus einem Drittland kontrolliert wird. Derzeit fallen bestimmte Arten von Transaktionen nicht in den Anwendungsbereich der FDI-Screening-Verordnung, sofern keine eindeutige „Umgehung“ der FDI-Vorschriften vorliegt.

Ein Beispiel dafür sind Direktinvestitionen durch ein Portfoliounternehmen eines in der EU ansässigen Private-Equity-Investors oder durch ein in der EU ansässiges Unternehmen, das von einem chinesischen Investor kontrolliert wird.

Enge Interpretation

Diese auf der Xella-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2022 basierende enge Interpretation des Anwendungsbereichs der FDI-Screening-Verordnung wirft in der Praxis erhebliche Probleme auf. Die Verwaltungspraxis der Nationalstaaten – wie beispielsweise Deutschland – belässt es aber bei dem bisherigen Verständnis, auch den indirekten ausländischen Erwerb unter das nationale FDI-Regime zu fassen.

Die Ausweitung der Regelungen auf „verdeckte“ Transaktionen ist daher als ein Versuch der Kommission zu sehen, dieses Problem in den Griff zu bekommen und die vom EuGH in der Rechtssache Xella festgestellten Anwendungsschwierigkeiten der Screening-Verordnung zu beseitigen. Als mögliches Hindernis für die Umsetzung dieses Vorschlags dürfte sich jedoch die Garantie der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs innerhalb der EU erweisen, die einer strengeren Überwachung durch die Screening-Verordnung im Wege steht.

Ein Instrument fehlt

Interessant ist schließlich, was im Werkzeugkasten der EU weiterhin fehlt: ein Instrument, um Investments europäischer Unternehmen im Ausland zu kontrollieren. Dieses sogenannte Outbound Investment Screening hatte die Kommission zwar im Sommer 2023 ebenfalls ins Spiel gebracht, nach Widerspruch aus den Mitgliedstaaten aber sogleich wieder einkassiert.

Nun soll zunächst näher evaluiert werden. Es bleibt abzuwarten, ob die EU hier in naher Zukunft Vorschläge unterbreiten wird oder ob einzelne Mitgliedstaaten die Initiative ergreifen und bestimmte Outbound Investments den nationalen FDI-Regeln unterstellen.

Kein leichter Spagat

Ob und wann die Vorschläge der Kommission in Kraft treten, ist noch nicht ausgemacht. Parlament und Rat müssen noch zustimmen. Will die Kommission mit ihrer Sicherheitsstrategie die Mitgliedstaaten hinter sich versammeln, muss ihr dabei der Spagat gelingen zwischen gezielter Risikobeherrschung und Bewahrung der Attraktivität des europäischen Marktes als Investitionsstandort. Gerade in den Ländern, deren Wertschöpfung sich in hohem Maße aus dem Reich der Mitte speist, dürfte ihr das nicht leichtfallen.

*) Dr. Marius Boewe ist Partner bei Herbert Smith Freehills in Düsseldorf.

Dr. Marius Boewe ist Partner bei Herbert Smith Freehills in Düsseldorf.