Auto der Zukunft

Flexibler Rechtsrahmen für autonomes Fahren

Ein offener Ansatz ist unerlässlich für Innovation und Sicherheit. Darum sollte dem Rechtsrahmen ein breiter, ganzheitlicher und zukunftsorientierter Ansatz zugrundegelegt werden.

Flexibler Rechtsrahmen für autonomes Fahren

Von Patrick Ayad und Susanne Schuster*)

Die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen unterliegen einem stetigen Wandel. Themen wie Automatisierung, Vernetzung und Elektrifizierung von Fahrzeugen sowie Mobilitätskonzepte der Sharing Economy sind keine unbekannten Trends mehr. Gleichwohl gibt es immer wieder neue Entwicklungen.

Gerade an autonome Fahrzeuge werden innerhalb Europas große Erwartungen und Hoffnungen geknüpft. Und das zu Recht. Die dafür eingesetzte Technologie hat großes Potenzial, in allen Lebensbereichen Mehrwert zu schaffen. Bei potenziellen Nutzern stehen die Inklusion von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sowie Nachhaltigkeitsaspekte im Fokus; durch die erwartete Effizienzsteigerung autonomer Fahrzeuge erhofft man sich weniger Verschleiß, Verbrauch und Emissionen sowie einen optimierten Verkehrsfluss. Aber vor allem sieht man in der Technologie das Potenzial, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen.

Gleichzeitig wird man auch nur mit – im Vergleich zu konventionellen Autos mit menschlichen Fahrern – erhöhter Verkehrssicherheit und hohem Komfortlevel das Vertrauen der Kunden in autonome Fahrzeuge erreichen und ihren nachhaltigen Erfolg sicherstellen können.

Strategische Allianzen

Das enorme Potenzial hat auch die Industrie erkannt, und so hat das Rennen darum, wer als Erster Fahrzeuge auf den Markt bringt, die ganz ohne einen menschlichen Fahrer auskommen, längst begonnen. Während die Entwicklung der Technologie rasant voranschreitet, verändert sich die Landschaft der Automobilindus­trie zunehmend. Die Industrie hofft darauf, neue Geschäftsfelder hervorzubringen, gerade auch durch Verknüpfung von autonomem und ­vernetztem Fahren mit Elektrifizierung und neuen Mobilitätsdienst­leistungen.

Dennoch bleibt die Entwicklung eines automatisierten Fahrsystems (Automated Driving System, kurz ADS) nach wie vor ein sehr ressourcenintensives Unterfangen, das umfangreiches technisches Know-how erfordert. In den vergangenen Jahren entstanden daher viele kommerzielle Partnerschaften und anderweitige Zusammenschlüsse zwischen traditionellen Automobilherstellern und Zulieferern, um die notwendige Technologie zu entwickeln (zum Beispiel Daimler mit BMW sowie mit Bosch – beide Partnerschaften sind mittlerweile allerdings in der ursprünglichen Form beendet).

Neue Player

Daneben findet man immer mehr neue Akteure, meist aus dem Technologiebereich, sogenannte „new entrants“, die sich mit traditionellen Playern zusammentun, um ihre Technologie auf die Straße zu bringen (zum Beispiel Argo AI mit Ford und Volkswagen, Mobileye mit BMW und NIO sowie Waymo mit FCA bzw. Stellantis, Jaguar Land Rover, Renault Nissan, Volvo Cars und zuletzt Daimler Trucks). Zum Teil geht es bei den Partnerschaften darum, die Technologie gemeinsam zu entwickeln, zum Teil stehen strategische Erwägungen im Vordergrund, zum Beispiel wenn es darum geht, Fahrzeuge eines traditionellen Automobilherstellers von einem anderen Hersteller mit einem ADS auszustatten und diese Fahrzeuge dann mit Hilfe eines Mobilitätsdiensteanbieters (zum Beispiel Moia, Sixt oder Uber) zu kommerzialisieren. All diese Entwicklungen sind wichtig und treiben den Fortschritt weiter voran.

Während autonome Fahrzeuge schon seit Jahren auf Basis lokaler Ausnahmegenehmigungen getestet werden, ist es nun an der Zeit, ihre Markteinführung voranzutreiben. Für die Zulassung auf öffentlichen Straßen müssen Fahrzeuge in der EU zuvor ein spezielles Genehmigungsverfahren durchlaufen, in dem ihre Übereinstimmung mit relevanten Sicherheits-, Umwelt- und sonstigen Konformitätsanforderungen bestätigt wird. Diese Genehmigung in der EU bezeichnet man als (EU-)Typ­genehmigung.

Für die Typgenehmigung autonomer Fahrzeuge muss der Gesetzgeber nun einen geeigneten Rechtsrahmen schaffen. Die Bemühungen dafür sind bereits in vollem Gange. Die zum Beispiel von der deutschen, der französischen und der niederländischen Regierung unternommenen Schritte sind vielversprechend. Positiv ist vor allem, dass man sich darauf fokussiert, die Rechtsgrundlage für die Zulassung von automatisierten Fahrsystemen der ISO/SAE Stufe 4 zu schaffen, und sich nicht auf Systeme niedrigerer Automatisierungsstufen beschränkt, die den menschlichen Fahrer nur unterstützen.

Im Einklang mit diesen Entwicklungen veröffentlichte die Europäische Kommission Ende September 2021 einen Verordnungsentwurf, der die Zukunft von autonomen Fahrzeugen in der EU einheitlich gestalten soll (sogenannte EU-ADS-Verordnung). Der Entwurf der EU-ADS-Verordnung legt die Vorschriften für die Typgenehmigung von autonomen Fahrzeugen in Bezug auf ihr ADS fest, um einen harmonisierten Weg für den Regelbetrieb von SAE/ISO Stufe 4 oder voll automatisierten Fahrzeugen in den Mitgliedstaaten zu schaffen. Dabei schlägt der Entwurf umfassende Sicherheitsanforderungen vor, die Maßstab für die Zulassung in den Mitgliedstaaten sein werden. Der Entwurf für die EU-ADS-Verordnung, dessen Inkrafttreten für Juli 2022 geplant ist, wurde allen 27 Mitgliedstaaten vorgelegt. Im November 2021 gibt es eine erste öffentliche Konsultation dazu.

Aufgrund der fortschreitenden Entwicklung der Technologie und der sich stetig verändernden Industrielandschaft sollte dem Typgenehmigungssystem innerhalb Europas ein breiter, ganzheitlicher und zukunftsorientierter Ansatz zugrundegelegt werden. Man muss sich bewusst sein, dass die Regulierung eines autonomen Fahrzeugs ein einzigartiges Vorhaben ist, denn es geht nicht nur – wie bei konventionellen Fahrzeugen – um die Genehmigung des Fahrzeugs, sondern auch um die des Fahrers, der durch das ADS ersetzt wird.

Expertise ist der Schlüssel

Dazu sollte das aktuell bestehende offene Typgenehmigungssystem der EU als Mindestmaß dienen. Innovation erfordert Flexibilität, und die Regulierung von Innovation kann nur durch einen flexiblen Ansatz erfolgreich sein. Insbesondere sollten dem Rechtsrahmen keine traditionellen und zum Teil veralteten Rollenbilder zugrundegelegt werden. Stattdessen sollten die Übernahme der regulatorischen Verantwortung und der Nachweis eines Sicherheitskonzepts die entscheidenden Faktoren sein. Expertise ist der Schlüssel für Verantwortung und Sicherheit.

Gerade der Hersteller trägt als Inhaber der Typgenehmigung eine Vielzahl regulatorischer Pflichten, die er nur erfüllen kann, wenn er umfassendes technisches Know-how über das ADS hat, was eine gewisse Grundbeteiligung an dessen Entwicklung, Produktion und Integration in das Auto voraussetzt. Zudem sollten Gesetzgeber Unklarheiten, Unstimmigkeiten sowie ungenaue Begriffe und Definitionen, die zu Interpretationsschwierigkeiten führen und die Entwicklung und Markteinführung von autonomen Fahrzeugen verzögern können, vermeiden.

Korrektur notwendig

Der Entwurf der EU-ADS-Verordnung entwickelt sich in Übereinstimmung mit diesen Empfehlungen in eine positive Richtung. Mögliche Beschränkungen im Anwendungsbereich, etwa durch die Verwendung zu enger Begriffe, wurden grundsätzlich beseitigt. Die weiteren Entwicklungen bleiben spannend. Vor allem die Frage, wie sich die EU-ADS-Verordnung in entstehende nationale Gesetzgebung einfügen beziehungsweise diese verändern wird. Gerade der deutsche Gesetzgeber hat aktuell mit seinem Verordnungsentwurf zur Umsetzung der gerade in Kraft getretenen Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes zur Zulassung von Fahrzeugen auf SAE/ISO Stufe 4 eine gewisse andere, eventuell vorschnelle Richtung eingeschlagen, die wo-möglich korrigiert werden muss.

*) Dr. Patrick Ayad ist Partner und Leiter der globalen Sektorengruppe Mo­bility and Transportation von Hogan Lovells. Susanne Schuster ist Rechtsanwältin im Münchener Büro der Kanzlei.