Verbraucherschutz

Neues Zeitalter im kollektiven Rechtsschutz

Der Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklage stärkt die Rechte von Verbrauchern, aber das Thema bleibt ein heißes Eisen.

Neues Zeitalter im kollektiven Rechtsschutz

Von Stefan Patzer und Christian Steger*)

Unlängst hat Bundesjustizminister Marco Buschmann bekannt gegeben, dass sich der mit Spannung erwartete Referentenentwurf zur Umsetzung der europäischen Verbandsklagerichtlinie (RL (EU) 2020/1828) in der Endabstimmung befindet. Die Zeit dafür drängt. Die Umsetzung der Richtlinie, die die EU Ende 2020 als Bestandteil ihres „New Deal for Consumers“ verabschiedet hatte, muss bis zum 25. Dezember 2022 erfolgen, und die Neuerungen müssen spätestens ab Mitte 2023 in Kraft treten.

Die zögerliche Umsetzung lässt sich in Teilen auf die Bundestagswahl und den Regierungswechsel im vergangenen Jahr zurückführen. Sie hängt aber auch damit zusammen, dass die Richtlinie den kollektiven Verbraucherschutz in Deutschland grundlegend verändert. Bereits seit mehr als 20 Jahren können Verbraucherschutzorganisationen Unternehmen auf Unterlassung in Anspruch nehmen, beispielsweise im Zusammenhang mit der Verwendung unwirksamer AGB.

Neue Abhilfeklage

Seit 2018 ist als Folge des Abgasskandals die bislang nur mäßig erfolgreiche Musterfeststellungsklage hinzugetreten, die es sogenannten qualifizierten Einrichtungen erlaubt, bestimmte Umstände feststellen zu lassen, die für Ansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmen relevant sind. Verbraucherschutzverbände haben bislang hingegen keine Möglichkeit, unmittelbar auf Entschädigung der Verbraucher zu klagen. Wollen Verbraucher gemeinsam auf Leistung klagen, kommt praktisch nur eine Bündelung ihrer Ansprüche in Betracht, wie man dies neuerdings etwa bei Ansprüchen infolge von Datenschutzverstößen beobachten kann.

Dies wird sich von Grund auf ändern. Der Entwurf sieht vor, eine neue sogenannte Abhilfeklage einzuführen, die gemeinsam mit der bisherigen Musterfeststellungsklage im neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) zusammengefasst wird. Mit der neuen Abhilfeklage können klageberechtigte Einrichtungen im Namen einer Gruppe von Verbrauchern gegen Unternehmen vorgehen und sind dabei – anders als bislang – nicht länger darauf beschränkt, das Unterlassen eines beanstandeten Verhaltens oder eine Feststellung zu begehren, sondern sie können direkt auf Beseitigung oder auf Schadenersatz klagen.

Aktive Anmeldung nötig

Klageberechtigt sind alle auch bislang­ zur Erhebung einer Mus­terfeststellungsklage berechtigten deutschen­ Verbraucherverbände. Da die Richtlinie ausdrücklich auch grenzüberschreitende­ Verbandsklagen vorsieht, können neben deutschen Verbänden auch alle Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten klagen, die die dortigen Voraussetzungen erfüllen und sich im neuen europäischen Verzeichnis haben registrieren lassen.

In der Klage ist glaubhaft zu machen, dass mindestens 50 Verbraucher betroffen sind. Verbraucher werden allerdings nicht automatisch am Verfahren beteiligt, sondern müssen sich aktiv im Verbandsklageregister anmelden (sogenanntes Opt-in). Wie auch bei der Musterfeststellungsklage soll die Anmeldung einfach, kostenlos und insbesondere ohne anwaltliche Unterstützung möglich sein.

Schließlich setzt die neue Abhilfeklage voraus, dass die betroffenen Ansprüche der Verbraucher „gleichartig“ sind. Dies soll immer dann der Fall sein, wenn die Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder eine Reihe vergleichbarer Sachverhalte beruhen und eine Entscheidung von den gleichen Tatsachen und Rechtsfragen abhängt.

Erste Einschätzungen aus der Praxis stimmen darin überein, dass die Konkretisierung der Gleichartigkeit der Ansprüche in Zukunft mit Sicherheit zu kontroversen Diskussionen führen wird.

Verschiedene Phasen

Das gerichtliche Verfahren bei Abhilfeklagen teilt sich in verschiedene Phasen. Hält das Gericht die Ansprüche für dem Grunde nach gerechtfertigt, erlässt es ein sogenanntes Abhilfegrundurteil und fordert die Parteien auf, zur Umsetzung des Urteils einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Gelingt dies nicht, setzt das Gericht das Verfahren fort und entscheidet durch ein sogenanntes Abhilfeendurteil. Die Verteilung des festgesetzten Betrags erfolgt sodann in einem sogenannten Umsetzungsverfahren, für das das Gericht einen besonderen Sachwalter bestellt. Dieser errichtet einen Umsetzungsfonds und erhält spezielle Befugnisse, um das Geld auf die betroffenen Verbraucher zu verteilen.

Der Entwurf will einen fairen und ausgewogenen Rechtsrahmen dafür schaffen, dass Streitigkeiten über Verbraucheransprüche einfacher ge­klärt werden können und Unternehmen schneller Rechtssicherheit er­halten. Die kollektive Durchsetzung von Verbraucherrechten soll einfacher werden, ohne zugleich eine Klageindustrie nach amerikanischen Verhältnissen zu befeuern.

Nach dem ersten Eindruck wird der vorliegende Entwurf diesem Ziel gerecht und findet bei der Umsetzung der von der Richtlinie eröffneten Umsetzungsspielräume einen an­gemessenen Kompromiss zwischen den Interessen der Verbraucher und der beklagten Unternehmen.

So geht der Entwurf auf der einen Seite deutlich über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus und will nicht nur Verbrauchern, sondern auch kleinen Unternehmen erlauben, sich einer Verbandsklage anzuschließen. Zudem beschränkt sich die Abhilfeklage nicht auf die Durchsetzung der von der EU-Richtlinie erfassten Verbraucherrechte, sondern findet auf alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Anwendung. Schließlich erlaubt der Entwurf im Grundsatz die Einbindung von professionellen Prozessfinanzierern, sofern sichergestellt ist, dass sie die Prozessstrategie nicht zulasten der Verbraucher beeinflussen.

Risiko einschätzbar

Auf der anderen Seite hat sich der Entwurf bewusst gegen einen klägerfreundlichen Opt-out-Mechanismus entschieden, lässt einen Beitritt zur Abhilfeklage nur bis zur ersten mündlichen Verhandlung zu und entfaltet bei Klageabweisung Bindungswirkung für die betroffenen Verbraucher. Dies erlaubt es den beklagten Unternehmen, das Risiko des Verfahrens frühzeitig einschätzen zu können, und wird damit Vergleichsverhandlungen erleichtern. Darüber hinaus spricht sich der Entwurf im Interesse der Unternehmen auch gegen eine weitreichende Discovery und gegen Punitive Damages im Sinne der US-amerikanischen Sammelklagen aus.

Der Referentenentwurf befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung, bevor er vom Bundeskabinett beschlossen und formell in das Ge­setz­ge­bungs­ver­fahren eingebracht wird. Insofern ist von einem heißen Herbst auszugehen. Bereits im Vorwege hatten sowohl Verbraucher- wie auch Wirtschaftsverbände mehrere Professorengutachten zur Um­setzung der Verbandsklage in Auftrag gegeben, und es ist fest davon auszugehen, dass sie weiterhin versuchen werden, den Entwurf in ihrem Sinne zu beeinflussen. Fest steht aber bereits jetzt, dass sich die Möglichkeiten für Verbraucher, ihre Ansprüche durchzusetzen, ab dem kommenden Jahr noch einmal deutlich erweitern und die Risiken für Unternehmen entsprechend erhöhen werden.

Für Spannung ist gesorgt

Wie erfolgreich die neue Abhilfeklage sein wird, hängt aber nicht nur vom Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens oder der anschließenden Konkretisierung durch die deutschen Gerichte ab. Entscheidend wird auch sein, wie die übrigen EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie um­setzen werden. So besteht vielfach die Sorge, dass es zu einem Wettstreit zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten um den klägerfreundlichsten Gerichtsstand kommen könnte und die Verbraucher an­schließend die Möglichkeit haben, sich im Sinne eines sogenannten „forum shopping“ den für sie günstigsten Gerichtsstand auszuwählen. Bislang haben lediglich die Niederlande die Richtlinie umgesetzt, so dass weiterhin für Spannung ge­sorgt ist.

*) Stefan Patzer ist Counsel und Dr. Christian Steger Associate von Latham­ & Watkins in Hamburg.

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