Nachhaltigkeit

Vom Shareholder Value zum Stakeholder Value

Dem Finanzsektor kommt eine tragende Rolle in der Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu. Der Blick geht von der rein monetären Bewertung einzelner Investitionsentscheidungen hin zu einem holistischeren Verständnis.

Vom Shareholder Value zum Stakeholder Value

Von Juliane Hilf und

David Jansen *)

Nachhaltiges Investieren ist in der Mitte des Finanzsektors angekommen – es vergeht kaum Tag, ohne dass sich institutionelle Investoren mit den UN-Nachhaltigkeitszielen auseinandersetzen. Im Fokus stehen dabei bislang vor allem Klimaschutzziele. Spätestens seit dem Bericht des Weltklimarats IPCC aus dem Sommer diesen Jahres ist hier der Handlungsbedarf offensichtlich. Ein weiterer Impuls ist Anfang November von der COP26, der Konferenz der Vertragsparteien des Pariser Klimaschutzabkommens, zu erwarten. Daneben rücken aber auch soziale Ziele, wie Geschlechtergleichheit oder menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum immer weiter in den Fokus.

Bei der Transformation von Wirtschaft (und Gesellschaft) zu einem nachhaltigen Wirtschaften kommt dem Finanzsektor eine tragende Rolle zu. Das professionell verwaltete Vermögen beträgt weltweit etwa 103 Trillionen US-Dollar. Es liegt also auf der Hand, dass Gesetzgeber bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen einen starken Hebeleffekt erzielen können, wenn sie bei den institutionellen Investoren und ihren Vermögensverwaltern ansetzen.

Hier vollzieht sich ein Wandel vom Prinzip des Shareholder Value zum Prinzip des Stakeholder Value, bei dem die Vermögensverwaltung nicht allein an den (zumeist monetären) Interessen der Anteilseigner ausgerichtet wird, sondern auch die Interessen der Stakeholder, d.h. jener, die von dem wirtschaftlichen Wirken eines Unternehmens betroffenen sind, berücksichtigen.

Eine Untersuchung der rechtlichen Rahmenbedingungen in elf Jurisdiktionen zeigt: Rechtlich bleibt das Erwirtschaften einer Rendite primäres Ziel eines jeden Investors; das Verfolgen von Nachhaltigkeitszielen ist derzeit nur in bestimmten Konstellationen möglich. Unbestimmte und interpretationsbedürftige Begriffe bei der Definition professioneller Sorgfaltsmaßstäbe wie „im besten Interesse der Anleger“ oder „zum Wohle der Gesellschaft“ zielen nach Rechtsprechung und Literatur weiter zumeist auf die Erhaltung und Schaffung von Vermögenswerten ab; diese sind traditionell rein finanzieller Natur.

Ausdrücklich niedergelegte Nachhaltigkeitskriterien finden sich nur vereinzelt in den jeweiligen rechtlichen Bestimmungen und sind häufig bloß darauf ausgerichtet, nachhaltige finanzielle Risiken für den Vermögenswert zu beschreiben (outside in). Auch nur vereinzelt finden sich Regeln, die ausdrücklich darauf abzielen, neben der Erwirtschaftung einer Rendite auch zu einer nachhaltigeren Wirtschaft/Gesellschaft beizutragen (inside out). Das EU-Recht verlangt von bestimmten Unternehmen zumindest Transparenz über beides zu schaffen, indem über die Betroffenheit des Unternehmens etwa durch Nachhaltigkeitsrisiken als auch über die von dem Unternehmen ausgehenden Auswirkungen auf Umwelt und soziale Belange berichtet werden muss (sogenannte „double materiality“).

Der Mangel an gesetzlichen Vorgaben schließt jedoch nicht aus, dass institutionelle Investoren bei ihren Anlageentscheidungen Nachhaltigkeitsstrategien verfolgen. Dient die Investition in nachhaltige Unternehmen letztlich im Sinne einer klassischen Risikovorsorge dem Ziel, für die Anleger eine Rendite zu erzielen, also als Mittel zum Zweck, ist dies in allen untersuchten Jurisdiktionen vom geltenden Recht gedeckt („Instrumental IFSI“). Je deutlicher ökologische und gesellschaftliche Entwicklungen negative Auswirkungen auf die Rendite haben (können), umso eher dürften institutionelle Investoren und Vermögensverwalter sogar rechtlich verpflichtet sein, entsprechend zu handeln. Am deutlichsten – und durch wissenschaftliche Studien unterlegt – ist dies beim Klimawandel. Prominentes Beispiel hierfür sind sogenannte stranded assets, also durch externe Faktoren einem drastischen Wertverfall unterliegende Vermögenswerte. Die sich hier manifestierenden Risiken können der Umwelt entstammen (z.B. Vernichtung oder Verzehr natürlicher Ressource), aber natürlich auch politischer Natur sein (z.B. durch Einführung neuer Regeln und Standards).

Die rechtlichen Spielräume, Nachhaltigkeitsziele als eigenständig neben dem Erwirtschaften einer Rendite zu verfolgen („ultimate ends IFSI“), sind kleiner; grundsätzlich ist hier zumeist Voraussetzung, dass sich dies nicht negativ auf die Rendite auswirkt. Je transparenter das Nachhaltigkeitsziel gegenüber den Anlegern gemacht ist und/oder je deutlicher diese ihre diesbezüglichen Anlagepräferenzen geäußert haben, desto eher ist eine solche Strategie heute rechtlich möglich. Während die Änderung bestehender Produkte, wie zum Beispiel Fonds, hier regelmäßig an rechtlichen und administrativen Hürden scheitern wird, ist damit zu rechnen, dass man neue Produkte in diesem Bereich künftig vermehrt sehen wird, da das EU-Recht künftig von Portfolioverwaltern und Anlageberatern verlangen wird, explizit nach den Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden zu fragen.

Gerade am Beispiel des Klimawandels zeigt sich: Nachhaltigkeitsrisiken sind regelmäßig systemische Risiken, denen mit Handlungen Einzelner weniger effektiv begegnet werden kann als mit kollektivem Handeln. Eine beträchtliche Anzahl von Kooperationen existiert bereits sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, wie zum Beispiel Climate Action 100+. Rechtlich sind hier die Grenzen des Wettbewerbsrechts zu beachten; es zeigen sich schon heute vermehrt Ansätze, die ein Zusammenwirken mit dem Ziel, Nachhaltigkeitsrisiken zu begegnen, ausdrücklich befürworten. Dies dient der Rechtssicherheit und wirkt Bedenken gegen ein kollektives Handeln entgegen.

Die rechtliche und politische Landschaft hat im Bereich Nachhaltigkeit eine bislang nicht dagewesene Dynamik entwickelt. Umfassende Vorgaben gibt es schon, wie Investoren und Vermögensverwalter offenlegen müssen, inwieweit sie Nachhaltigkeitsfaktoren in ihrem Investitionsprozess berücksichtigen. Solche Offenlegungsregelungen betreffen jedoch nicht den Investitionsprozess selbst; sie regeln nicht die Frage, ob und unter welchen Umständen das Verfolgen von Nachhaltigkeitszielen erforderlich oder erlaubt sind. Hier sind in Zukunft Klarstellungen durch die Gesetzgeber zu erwarten.

Ob gesetzliche Regeln dies in der Praxis gestatten oder gar erfordern, hängt nach den Ergebnissen der Untersuchung aber nicht nur vom Inhalt der gesetzlichen Regel, sondern mitunter auch von den Rahmenbedingungen ab, in denen diese Regeln Anwendung finden. So dürften bestimmte Marktbedingungen (wie z.B. verwendete Benchmarks oder die üblicherweise kurzen Laufzeiten von Vermögensverwaltungsverträgen) dazu führen, dass Nachhaltigkeitsfaktoren im Rahmen des Investmentprozesses nicht hinreichend gewichtet werden und könnten so ein limitierender Faktor bei der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen sein.

Mittel zum Zweck

Nachhaltigkeit ist im Tagesgeschäft angekommen. Soweit das Verfolgen von Nachhaltigkeitszielen Mittel zum Zweck bei dem Erzielen einer Rendite ist, führt schon heute kein Weg mehr daran vorbei, sich damit auseinanderzusetzen, ob und wie Investoren durch ihr Verhalten (sei es durch Investitionsentscheidungen oder die Einflussnahme auf Portfoliogesellschaften durch Stewardship-Aktivitäten) zum Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften beitragen können. Das wachsende Bewusstsein für die finanziellen Risiken, die von Nachhaltigkeitsfaktoren ausgehen können, verstärkt diese Notwendigkeit.

Aber auch darüber hinaus zeichnet sich ab, dass bestehende gesetzliche Regeln (insbesondere solche, die professionelle Sorgfaltsmaßstäbe vorgeben) in Zukunft ein Verhalten verlangen, das den Blick von der rein monetären Bewertung einzelner Investitionsentscheidungen hin zu einem holistischeren Verständnis der Auswirkungen dieser Entscheidungen auf Umwelt und Gesellschaft wendet. Vom Shareholder Value zum Stakeholder Value – dem Finanzsektor kommt hier eine wichtige Rolle zu.

*) Dr. Juliane Hilf ist Partnerin von Freshfields Bruckhaus Deringer in Düsseldorf, Dr. David Jansen Counsel der Kanzlei in Frankfurt.

Von der Kanzlei stammt die Studie: „A Legal Framework for Impact – sustainability impact in investor decision-making“.

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