Sustainability

Wege zu einer nachhaltigeren Realwirtschaft

Die EU-Kommission will den Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen stark ausweiten und legt einen Europäischen Green Bond Standard vor.

Wege zu einer nachhaltigeren Realwirtschaft

Von Philipp Melzer und Anna-Maja Schaefer *)

Um Transformationsprozesse weiter anzuschieben, hat die EU-Kommission ihre Sustainable-Finance-Strategie auf eine breitere Basis gestellt. Dafür hat sie den Delegierten Rechtsakt zur Konkretisierung der Publizitätspflichten von Unternehmen zur ökologischen Nachhaltigkeit ihrer Tätigkeiten unter der Taxonomie-Verordnung veröffentlicht, den Vorschlag für eine Verordnung zur Regelung eines Standards für grüne Anleihen (Europäischer Green Bond Standard) vorgestellt und weitere Maßnahmen, wie die Erweiterung der Taxonomie-Verordnung, angekündigt.

Sustainability-Berichtspflicht

Unternehmen erfahren bereits jetzt eine steigende Nachfrage von Geschäftspartnern nach Nachhaltigkeitsinformationen. So rücken Nachhaltigkeitsrisiken vermehrt in den Fokus, Stakeholder haben zunehmende Erwartungen an die Nachhaltigkeit und viele Unternehmen bereiten sich auf die erweiterten gesetzlichen Vorgaben für die externe Berichterstattung vor.

Für Unternehmen, die zur sogenannten nichtfinanziellen Berichterstattung unter der Corporate-Social-Responsibility(CSR)-Richtlinie verpflichtet sind, werden durch die Taxonomie-Verordnung die Anforderungen an die Berichterstattung um Angaben zur ökologischen Nachhaltigkeit erweitert. Bereits für das Geschäftsjahr 2021 müssen nicht dem Finanzsektor angehörende Unternehmen den Anteil ihrer Umsatzerlöse, Investitionen (Capex) und Betriebsausgaben (Opex), der auf ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten im Sinne der ersten beiden von sechs Umweltzielen unter der Taxonomie-Verordnung (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) beruht, in ihre Berichterstattung aufnehmen. In der hierzu veröffentlichten delegierten Verordnung werden die entsprechenden Kennzahlen definiert und Berechnungsmethoden festgelegt. Finanzinstituten, Vermögensverwaltern, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen wird in der delegierten Verordnung vorgeschrieben, den auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten entfallenden Anteil der von ihnen verwalteten oder finanzierten Vermögenswerte anzugeben.

Bisher sind nur große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen von den Berichtspflichten betroffen. Über eine Erweiterung der CSR-Richtlinie sollen schrittweise zunächst alle großen und ab 1. Januar 2026 börsennotierte KMU (kleine und mittlere Unternehmen) einbezogen werden. So hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Anpassung der CSR-Richtlinie vorgelegt, wonach der Kreis der berichtspflichtigen Unternehmen deutlich ausgeweitet wird. Inhaltlich soll die Berichtspflicht über Nachhaltigkeitsfragen umfassender werden und dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit entsprechen. Danach müssen Unternehmen sowohl darüber berichten, welche Nachhaltigkeitsaspekte sich wesentlich auf ihre wirtschaftliche Lage und ihren Geschäftsverlauf auswirken können („Outside-in-Perspektive“), als auch darüber, welche ihrer Geschäftstätigkeiten, Produkte und/oder Dienstleistungen wesentliche Auswirkungen auf Menschen und Umwelt haben („Inside-out-Perspektive“).

Die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Finanzberichterstattung durch die Taxonomie-bezogenen Berichtspflichten zu Umsatzerlösen, Capex und Opex fördert Transparenz und Vergleichbarkeit der Berichterstattung und schafft damit eine verlässliche Grundlage für Investitionsentscheidungen. Gleichwohl wird sie die berichtspflichtigen Unternehmen, insbesondere bei der Datenerhebung und -evaluierung, vor einige Herausforderungen stellen. Auch KMU, die bislang noch nicht der CSR-Richtlinie unterliegen, können über Lieferketten mittelbar betroffen sein, wenn ihre Geschäftspartner zur erweiterten Berichterstattung verpflichtet sind und von ihnen dafür Informationen einholen. Auch sie sollten sich frühzeitig mit dem Thema befassen.

Was heißt grün?

Der Markt für grüne Anleihen entwickelt sich seit einigen Jahren dynamisch. Nach Einschätzung der EU-Kommission besteht aber noch Potenzial für weiteres Wachstum und die Verfolgung ambitionierterer Umweltziele. Um Anlegervertrauen zu stärken, will die EU-Kommission mit dem kürzlich vorgelegten Europäischen Green Bond Standard (EU-GBS) einen besonders anspruchsvollen Standard für Anleihen schaffen und sogenanntes Greenwashing verhindern. Schon jetzt beeinflusst der EU-GBS die Marktpraxis. So haben bereits einige Emittenten darauf Bezug genommen und angekündigt, sich zukünftig daran auszurichten. Der EU-GBS wird auch Emittenten aus Drittstaaten offenstehen. Ob er sich in außereuropäischen Märkten durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Eine Besonderheit des EU-GBS und wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Marktstandards wie beispielsweise den Green Bonds Principles (GBP) der International Capital Market Association (ICMA) ist, dass der Erlös der grünen Anleihe zur Finanzierung oder Refinanzierung von Wirtschaftsaktivitäten verwendet werden muss. Der Erlös muss einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem der sechs Umweltziele unter der Taxonomie-Verordnung leisten. Gleichzeitig darf kein anderes Umweltziel erheblich beeinträchtigt werden und es müssen internationale soziale sowie arbeitsrechtliche Mindeststandards eingehalten werden. Die technischen Bewertungskriterien zu den Umweltzielen der Taxonomie-Verordnung werden (sukzessive) in delegierten Verordnungen festgelegt.

Kennzeichnend für den GBS sind darüber hinaus detaillierte Berichtspflichten über die Verwendung der Erlöse. Die externe Verifizierung der Berichtspflichten muss dabei – anders als bei anderen Marktstandards – von bei der European Securities and Markets Authority (ESMA) registrierten und von ihr beaufsichtigen Prüfern vorgenommen werden. Zwar ist der EU-GBS freiwillig, das heißt, dass Emittenten für grüne Anleihen weiter auf andere Standards zurückgreifen können. Jedoch müssen Anleihen, die als EU-GBS vermarktet werden, diesem auch genügen.

Kommission bleibt am Ball

Transformationsprozesse zu mehr Nachhaltigkeit lassen sich auch über andere Anleiheformen wie Sustainability, Sustainability-Llinked und Social-Bonds finanzieren. Begrüßenswert ist daher, dass die EU-Kommission weitere Nachhaltigkeitsstandards für Finanzprodukte, wie für Sustainability-Linked Bonds, angekündigt hat. Bei einem Sustainability-Linked Bond gibt es keine spezifischen Vorgaben für die Erlösverwendung. Der Erlös kann für allgemeine Unternehmenszwecke verwendet werden, die Höhe des Zinssatzes wird aber vom Erreichen vorab festgelegter Nachhaltigkeitsziele abhängig gemacht. So wird für den Emittenten ein finanzieller Anreiz gesetzt.

Bisher konzentriert sich die Taxonomie-Verordnung auf Wirtschaftstätigkeiten aus Sektoren, denen das größte Potenzial zum Klimaschutz zugeschrieben wird (Energie, Forstwirtschaft, Produktion, Verkehr und Gebäude). Durch diesen Ansatz ist aber bisher nur ein geringer Prozentsatz der Wirtschaftstätigkeiten (schätzungsweise zwischen 1 und 5%) taxonomiekonform. Daraus ergibt sich aber nicht im Umkehrschluss, dass alle nicht von der Taxonomie-Verordnung erfassten Tätigkeiten zwingend umweltschädlich oder nicht nachhaltig sind. Ebenso wenig folgt daraus ein Verbot, in nicht taxonomiekonforme Wirtschaftstätigkeiten zu investieren.

Um die Transparenz für Investoren zu erhöhen, prüft die EU-Kommission derzeit eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Taxonomie-Verordnung auf Wirtschaftstätigkeiten, die keine wesentliche Auswirkung auf die ökologische Nachhaltigkeit haben (no significant impact activities), sowie auf Wirtschaftstätigkeiten, die die ökologische Nachhaltigkeit erheblich beeinträchtigen (significantly harmful activities).

Auch die soziale Dimension von Nachhaltigkeit rückt stärker in den Fokus der EU-Kommission. Sie arbeitet an einem Entwurf für eine soziale Taxonomie, die Transparenz hinsichtlich sozialer Aspekte von Finanzinvestitionen schaffen soll. Zu beiden Vorhaben hat die EU-Kommission bis zum 27. August 2021 Papiere zur Konsultation gestellt.

*) Philipp Melzer ist Partner und Dr. Anna-Maja Schaefer Counsel bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.