RECHT UND KAPITALMARKT

Bei Anleihen gibt es erhebliches Potenzial zur Kursbeeinflussung

BaFin modifiziert Einschätzung - Anwendung der Ad-hoc-Pflicht erweitert

Bei Anleihen gibt es erhebliches Potenzial zur Kursbeeinflussung

Von Karsten Wöckener und Peter Becker *)Reine Anleiheemittenten mussten in der Vergangenheit nur selten Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlichen. Hintergrund hierfür war die sehr restriktive – zuletzt im Emittentenleitfaden 2013 veröffentlichte – Auslegung des Begriffs “erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial” durch die BaFin. Deren Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass bei der Bewertung, ob dieses Tatbestandsmerkmal einer Insiderinformation erfüllt ist, die Gattung des maßgeblichen Finanzinstruments berücksichtigt werden müsse. Ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial sei bei Schuldverschreibungen, deren Rendite nicht vom wirtschaftlichen Ergebnis des Emittenten abhängt, in der Regel nur anzunehmen, wenn die Erfüllung der mit dem Finanzinstrument verbundenen Verpflichtungen des Emittenten (z. B. Rückzahlung und Zinszahlung) aufgrund der der Information zugrunde liegenden Umstände beeinträchtigt wäre. KündigungsrechteDiese – häufig kritisierte – Ansicht hat die BaFin in ihrem neuen Emittentenleitfaden Modul C modifiziert. Über die oben beschriebenen Umstände hinaus sollen auch eine vorzeitige Kündigung oder Änderungen beim Rückkaufpreis potenziell kurserheblich sein. Dies gelte jedoch nicht, sofern der Markt dies erwarte. In einem solchen Fall könne aber auch die Nichtausübung eines Kündigungsrechts ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial haben.Mit der Kündigung von Schuldverschreibungen nimmt die BaFin ein bereits 1994 in der Begründung zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz aufgeführtes Beispiel für potenzielle Kursrelevanz wieder auf. Die von der BaFin genannte Fallgruppe – eine Erhöhung des Zinssatzes bei Verstreichen eines bestimmten Kündigungstermins – ist bei Hybridanleihen üblich bzw. notwendig. Emittenten wird hierbei ein Kündigungsrecht nach einem bestimmten Zeitraum (häufig fünf Jahre nach dem Emissionsdatum) eingeräumt. Lassen sie diesen Kündigungstermin verstreichen, erhöht sich der Zinssatz mitunter signifikant.Weitere marktübliche Kündigungsrechte in Anleihebedingungen, bei denen sich vernünftigerweise eine Markterwartung bilden kann, sind der sogenannte Transaktions-Call bei Anleihen, die als Bestandteil einer Akquisitionsfinanzierung emittiert worden sind (wird der Erwerb nicht vollzogen, ist der Emittent zur Kündigung der Anleihe berechtigt), und das Recht zur Kündigung aufgrund eines über den Wandlungspreis hinausgehenden Aktienkurses bei Wandelschuldverschreibungen: Liegt der Kurs an einer gewissen Anzahl an Handelstagen innerhalb einer bestimmten Spanne deutlich über dem anwendbaren Wandlungspreis (in der Regel 130 %), ist der Emittent zur Kündigung berechtigt.Bei weiteren üblichen Kündigungsrechten fehlen dem Markt die Informationen, die er zur Bildung einer Erwartung benötigt. So ist bei-spielsweise der bei Ausübung eines Make-Whole-Calls zu zahlende Betrag (das Höhere aus dem Nennbetrag der Schuldverschreibungen und ihrem abgezinsten Marktwert, jeweils zuzüglich der bis zum Fälligkeitstag noch anfallenden Zinsen) für Investoren nahezu nicht berechenbar. Zudem können sie regelmäßig nicht beurteilen, ob Emittenten zur Rückzahlung ausreichende ungebundene Kassenbestände vorhalten.Entscheidet sich ein Emittent für die Kündigung einer Anleihe, muss er die Kündigungserklärung nach den Vorgaben der Anleihebedingungen bekannt machen. Je nach deren Ausgestaltung erfolgt die Bekanntmachung damit bereits im Bundesanzeiger, auf Internetseiten der Emittenten und/oder über die jeweilige Börse. Zusätzlich werden die Anleihegläubiger über die Clearingsysteme informiert. Gleichwohl ist bei erheblichem Kursbeeinflussungspotenzial zusätzlich eine Ad-hoc-Mitteilung erforderlich. Da – mit Ausnahme des Anwendungsbereichs von § 10 Abs. 6 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) – gesetzliche Publizitätspflichten die Ad-hoc-Publizität nicht ersetzen können, muss dies erst recht auch für (quasi) vertragliche Pflichten nach Anleihebedingungen gelten. Früheres VerhaltenFälle, in denen sich ein Emittent wider eine klare Markterwartung gegen eine Kündigung entscheidet, werden praktisch nicht häufig sein. Wo sie jedoch auftreten, besteht ein Informationsbedürfnis der Marktteilnehmer, welches im Weg der Ad-hoc-Publizität zu stillen ist.Eine Markterwartung kann sich aus dem Verhalten eines Emittenten in der Vergangenheit (hat die Gesellschaft beispielsweise schon mehrfach Hybridanleihen zum ersten Regelkündigungstermin gekündigt und umgehend eine neue Hybridanleihe emittiert) oder aus Äußerungen gegenüber Investoren (beispielsweise im Rahmen eines Capital Market Days) oder einer aus Sicht des Emittenten wirtschaftlich nachteiligen Zinsstaffel ergeben.Anleiheemittenten sollten sich des erweiterten Anwendungsbereichs der Ad-hoc-Pflicht bewusst sein. Bei der Strukturierung und Verankerung neuartiger Kündigungsrechte in Anleihebedingungen sollte sie von Anfang an bedacht werden. *) Karsten Wöckener ist Partner und Dr. Peter Becker Associate von White & Case in Frankfurt.