Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Anke Nestler

Bewertungsansätze für immaterielles Vermögen sind unüberschaubar

Finanzieller Vorteil aus den Assets entscheidend für deren Beurteilung

Bewertungsansätze für immaterielles Vermögen sind unüberschaubar

– Frau Nestler, Sie sind zur ersten Sachverständigen für die Bewertung immaterieller Werte an der IHK Frankfurt am Main ernannt worden. Welche Rolle spielen immaterielle Vermögensgegenstände überhaupt in Unternehmen? – Eigentlich eine ziemlich große: immaterielle Vermögensgegenstände wie zum Beispiel Marken, Patente, Know-how, Rezepturen, Kundenbeziehungen sind häufig die Existenzgrundlage für Unternehmen. In Zahlen gesprochen, machen sie durchschnittlich etwa die Hälfte des Unternehmenswertes aus. Bei Markenartiklern liegt dieser Anteil häufig sogar bei über 90 %. – Warum kommen die immateriellen Vermögensgegenstände dann erst in den vergangenen Jahren so häufig ins Gespräch? Marken gibt es ja schon etwas länger.Selbsterstellte immaterielle Vermögensgegenstände sind grundsätzlich nicht bilanzierbar und stehen daher nicht in der Bilanz. Die Vorstellung von Werten war sehr vage, wenig greifbar. Jetzt ist in den Transaktionsmarkt Bewegung gekommen: Immaterielle Assets werden alleine oder als Geschäftsbereich zu Marktpreisen erworben und müssen dann bilanziert werden. Und noch etwas kommt hinzu: die zunehmende Bedeutung der immateriellen Vermögensgegenstände für die Finanzierung der Unternehmen. – Welche Rolle spielt dabei die zunehmende Bilanzierung nach den internationalen Rechungslegungsstandards IFRS?Die internationalen Rechnungslegungsregeln haben der Bilanzierung von immateriellen Vermögensgegenständen schon immer einen größeren Stellenwert beigemessen als unser “vorsichtiges” Handelsgesetzbuch (HGB) und sie damit erst richtig “sichtbar” gemacht. Im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen müssen bilanzierbare immaterielle Vermögensgegenstände im Konzern verpflichtend identifiziert und zu Zeitwerten bewertet werden. Nur der restliche Wertanteil, der keinem Asset zurechenbar ist, ist als sogenannter Goodwill auszuweisen. – Wann sind immaterielle Assets überhaupt bewertbar?Immaterielle Vermögensgegenstände sind nicht zwangsläufig werthaltig. Sie sind grundsätzlich bewertbar, wenn sie dem Unternehmen tatsächlich gehören und vor allem ausreichend geschützt sind. Einer wirtschaftlichen Bewertung muss somit eine rechtliche Prüfung vorausgehen. Darüber hinaus müssen diese Assets einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen. Das bedeutet, dass dem Unternehmen früher oder später nach Abzug der relevanten Kosten ein finanzieller Vorteil verbleiben muss. – Wie können immaterielle Assets bewertet werden?Ansätze für die Bewertung von immateriellen Assets gibt es – leider – fast unübersichtlich viele. Zahlreiche Modelle setzen dabei primär an qualitativen Größen an. Meines Erachtens zählt aber letztlich der finanzielle Vorteil, der aus dem immateriellen Vermögenswert entsteht. Ein Investor zahlt beispielsweise allein für einen hohen Bekanntheitsgrad einer Marke erstmal gar nichts. Wenn sich daraus aber zum Beispiel in der Branche eine hohe Lizenzgebühr für die Nutzung der Marke durchsetzen lässt, winken hohe Gewinne aus der Marke. Und diese Gewinne sind bewertbar. – Wenn ein Unternehmen einen hohen Gewinn aus einem Patent erzielt hat, ist es somit auch viel wert?So einfach ist es leider nicht. Auch hier gilt: Für die Vergangenheit gibt der Kaufmann nichts. Wenn der Patentschutz bald ausläuft, wird sich der Wert des Patentes trotz hoher vergangener Gewinne sehr vermindern. Es kommt somit auf die zukünftigen Ergebnisse aus dem immateriellen Asset an. – Warum benötigt die Wirtschaft überhaupt einen zertifizierten Sachverständigen für diese Bewertungen? Könnte das nicht auch ein Wirtschaftsprüfer übernehmen? Bewertungen generell und die Bewertung von einzelnen, immateriellen Assets im Besonderen erfordern ein spezifisches Know-how, das oft nicht dem Erfahrungsschatz eines Wirtschaftsprüfers entspricht. Ein Sachverständiger für Bewertungen wird auch nicht nur im Rahmen von Wertansätzen in der Bilanz tätig. Vielmehr ist die Expertise bei unterschiedlichsten Anlässen gefragt, zum Beispiel im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten etwa bei Markenverletzungen, für Verrechnungspreise im steuerlichen Kontext, für die Ableitung von erzielbaren Kauf- oder Verkaufspreisen, für Abfindungen von Gesellschaftern und für Finanzierungen über immaterielle Werte. Dr. Anke Nestler ist Geschäftsführerin der O & R Corporate Finance Beratungsgesellschaft mbH, Frankfurt a. M., einer Tochter der Sozietät Linklaters Oppenhoff & Rädler, und Sachverständige für Unternehmensbewertung und die Bewertung immaterieller Werte (IHK Frankfurt/M.).Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.