Recht und Kapitalmarkt

Kodex-Verstöße haben Folgen

BGH-Urteil über Corporate-Governance-Defizite im Fall Axel Springer AG

Kodex-Verstöße haben Folgen

Von Olaf Müller-Michaels *) Mit seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 21. September 2009 (Aktenzeichen: II ZR 174/08) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) erneut mit den Voraussetzungen beschäftigt, unter denen eine unrichtige Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) zur Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen führen kann. Außerdem hat er zum Thema Einzel- und Gesamtentlastung Stellung genommen. Konkret ging es um die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Axel Springer AG auf der Hauptversammlung am 27. April 2006. InformationspflichtNach Ziffer 5.5.3 DCGK soll der Aufsichtsrat in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren. Aufsichtsrat der beklagten Axel Springer AG war unter anderem Brian M. Powers, der gleichzeitig Aufsichtsrat der Premiere AG und Managing Director der Hellman & Friedman LLC. war, die wiederum an der Premiere AG beteiligt war. Springer verhandelte damals über eine Übernahme der Premiere AG.Im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung vom 7. März 2006 waren ein Interessenkonflikt des Aufsichtsratsmitglieds Powers und seine Behandlung nicht erwähnt. Entgegen § 161 Aktiengesetz (AktG) hatte Springer die Entsprechenserklärung zum DCGK nicht dahingehend berichtigt, dass der Empfehlung in Ziffer 5.5.3 nicht gefolgt sei.Aufbauend auf seinem Urteil vom 16. Februar 2009 – II ZR 185/07 “Kirch/Deutsche Bank” heißt es dazu in Tz. 16 der Urteilsgründe: “Ist die Entsprechenserklärung von vornherein in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einer später eintretenden Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht umgehend berichtigt, so liegt darin ein Gesetzesverstoß (§ 243 Abs. 1 AktG), der dem Verstoß zuwider gefasste Entlastungsbeschlüsse anfechtbar macht.” AnfechtungsgründeAnfechtbar macht eine unterbliebene Information der Hauptversammlung die Entlastungsbeschlüsse nach der Wertung von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG aber nur, “wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts ansähe”. Dies hat der Bundesgerichtshof hier mit Hinweis auf die Bedeutung der Transaktion und darauf, dass die Behandlung des Interessenkonflikts im Aufsichtsrat den Aktionären nicht bekannt war, bejaht. Damit hatten die Anfechtungsklagen gegen die Entlastungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat Erfolg.Es ist zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof durch die Verknüpfung der Einhaltung des DCGK mit der Entlastung der Organe auf der Hauptversammlung den Aktionären über die Anfechtungsklage ein “Rechtsmittel” an die Hand gibt, um gravierende Verstöße gegen die Corporate-Governance-Empfehlungen geltend zu machen. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass neben einer Einzelentlastung und einer Gesamtentlastung auch eine Kombination aus beidem zulässig ist. Das heißt, der Sitzungsleiter kann für ein Mitglied des Aufsichtsrats Einzelentlastung und für alle anderen Gesamtentlastung anordnen. Er muss nicht zwingend eine Gesamtentlastung aller Mitglieder durchführen.Bei Axel Springer war das Aufsichtsratsmitglied Friede Springer, die gleichzeitig Großaktionärin war, einzeln und alle anderen Mitglieder insgesamt entlastet worden. Hintergrund war das Stimmverbot “in eigener Sache”, durch das es einem Organmitglied untersagt ist, bei der eigenen Entlastung mitzustimmen ( § 136 Abs. 1 AktG).Durch ihre Einzelentlastung konnte Friede Springer als Aktionärin wenigstens bei der Entlastung der anderen Aufsichtsratsmitglieder mitstimmen. Genau wegen der daraus resultierenden Gefahr von Interessenkonflikten war eine vom Versammlungsleiter initiierte Einzelentlastung bisher kritisch gesehen worden. So hatte etwa das Oberlandesgericht München eine Gesamtentlastung zum Schutz der Minderheitsaktionäre für erforderlich gehalten, um eine Umgehung von etwa bestehenden Stimmverboten nach § 136 Abs. 1 AktG durch die Anordnung einer Einzelentlastung zu verhindern. FlexibilitätDer Bundesgerichtshof sah darin kein Problem. Aus dem Gebot des § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG, über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds gesondert abzustimmen, wenn die Hauptversammlung es beschließt oder eine Minderheit es verlangt, lasse sich, so der BGH, nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in allen anderen Fällen die Organe nur zusammen entlastet werden dürfen.Im Übrigen könne sich das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 AktG in Einzelfällen nicht nur auf die eigene Entlastung, sondern auch auf die Entlastung anderer Organmitglieder erstrecken. Dazu brauche man kein generelles Gebot der Gesamtentlastung. Eine aus meiner Sicht klare und richtige Argumentation, die die Flexibilität des Versammlungsleiters erhöht.—-*) Prof. Dr. Olaf Müller-Michaels ist Partner bei Orrick Hölters & Elsing, Düsseldorf, und Professor für Wirtschaftsrecht an der FOM Fachhochschule für Oekonomie und Management, Essen.