RECHT UND KAPITALMARKT

Telekom-Urteil fordert die Praxis heraus

Bundesgerichtshof stellt neue Regeln für Leistungen von Aktiengesellschaften an Aktionäre auf

Telekom-Urteil fordert die Praxis heraus

Von Christoph H. Seibt *) Durch sein Urteil zum “Börsengang Deutsche Telekom III” hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) verschärft (Urteil vom 31. Mai 2011, Az. II ZR 141/09). Die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Deutsche Telekom bei der Platzierung von Altaktien der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Jahr 2000 habe gegen dieses Verbot verstoßen und gewähre einen Freistellungsanspruch der AG gegen den Aktionär, wenn jener die Gesellschaft nicht von der Prospekthaftung freistellt. Daher müsse die KfW – und ggf. auch die Bundesrepublik Deutschland als ehemals herrschendes Unternehmen auf der Grundlage des konzernrechtlichen Nachteilsausgleichs (§ 317 Abs. 1 Satz 1 AktG) – den Betrag des Vergleichs, den die Telekom mit den Klägern US-amerikanischer Class Actions über die etwaige Fehlerhaftigkeit des US-Prospektes abgeschlossen hatte, und die hiermit im Zusammenhang stehenden Anwaltskosten erstatten. Bilanzielle BetrachtungSowohl zur Frage der Veranlassung durch die Bundesrepublik Deutschland als auch zur genauen Feststellung der Anspruchshöhe verwies der BGH an das OLG Köln zurück. Die Entscheidung ist über den konkreten Einzelfall hinaus von erheblichem Interesse für die Unternehmenspraxis, da der BGH den Prüfungsmaßstab für Leistungsgewährungen einer AG an ihre Aktionäre und das korrespondierende Verbot der Einlagenrückgewähr neu justiert und hierzu eine “bilanziellen Betrachtungsweise” stipuliert hat.Der BGH-Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der sich in einigen Punkten von einer typischen Aktienplatzierung unterscheidet: So wurden beim “Börsengang III” ausschließlich Altaktien eines Großaktionärs platziert, ohne dass daneben oder gar primär neue Telekom-Aktien aus einer Kapitalerhöhung am Markt angeboten wurden. Darüber hinaus gab es einerseits einen im Grundgesetz festgelegten Privatisierungsauftrag für die Telekom, andererseits war es zur Expansion auf den US-Markt durch Übernahme eines Wettbewerbers erforderlich, die staatliche Beteiligung an dem Unternehmen deutlich zu reduzieren und eine erhebliche Aktionärsbasis und Liquidität auf dem US-Kapitalmarkt zu generieren.Die breite Platzierung von Altaktien an US-Investoren setzte einen vom Emittenten selbst zu erstellenden Prospekt voraus. Vor diesem Sachverhaltshintergrund stellte sich die Frage, ob die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft und – in ihrer Verlängerung – die Zahlung des zur Erledigung von Prospekthaftungsansprüchen geleisteten Vergleichsbetrages eine gesetzlich nicht vorgesehene Leistung an den Großaktionär waren. Denn § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG verbietet über den Wortlaut hinaus jede von der AG an den Aktionär erbrachte und auf seiner Gesellschafterstellung beruhende Leistung, auf die ihm das Aktiengesetz nicht wie bei einer Dividendenausschüttung einen Anspruch gewährt und die auch nicht aufgrund einer speziellen gesetzlichen Regelung zugelassen oder sonst wie im Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt ist. Dieses Verbot soll das Vermögen der Gesellschaft umfassend erhalten und damit die Gläubiger sowie die übrigen Aktionäre davor schützen, dass Altaktionäre auf ihre Kosten der AG Mittel entziehen können.Das LG Bonn hatte in erster Instanz 2007 festgestellt, dass bei der konkreten Transaktion eine bloß “reflexartige Interessenförderung ( . . . ) und ein allenfalls mitverfolgtes Eigeninteresse” der Telekom bestehe und dies als rechtfertigender Ausgleich für die Übernahme des Prospekthaftungsrisiko nicht ausreiche. Demgegenüber ließ das OLG Köln 2009 ein “eigenes, konkretes Interesse an der Umplatzierung der Aktien” genügen und hielt ein solches im Streitfall für gegeben. Der BGH kommt zum Ergebnis der ersten Instanz, entwickelt aber eigenständig einen von der aktienrechtlichen Literatur bislang nur teilweise vorgeformten Prüfungsstandard für das Leistungsverbot: In der ersten Prüfungsstufe der Leistungsgewährung geht der BGH von einem weiten Verständnis aus, das weder eine unmittelbare Zuwendung aus dem Gesellschaftsvermögen noch gar den Zufluss eines finanziell messbaren Vorteils beim Aktionär verlangt.Letzteres war nämlich im konkreten Fall streitig, da der Aktionär regelmäßig keinen Einfluss auf die Sorgfältigkeit der Prospekterstellung und damit auf das tatsächliche Haftungsrisiko hat und zudem davon ausgehen darf, dass der Emittent die Dokumente nach den gesetzlichen Vorschriften erstellt.Auf einer zweiten Stufe der Leistungsrechtfertigung ist zu untersuchen, ob die Leistung im Verantwortungs- und Interessensbereich der Gesellschaft oder des Aktionärs liegt. Der BGH beschränkt sich hierzu auf den Hinweis, dass “wirtschaftlich (à) vor allem der Altaktionär von dem öffentlichen Angebot durch den Verkauf seiner Aktien (profitiert), weil er die unmittelbaren Vorteile aus dem Geschäft (à) erzielt”; der Gewinnchance entspräche wirtschaftlich das Prospekthaftungsrisiko.Die Zuordnung der Leistung zu einem bestimmten Verantwortungs- und Interessenbereich ist häufig nicht nur rechtlich und tatsächlich schwer vorzunehmen, der BGH selbst fügt durch den Einschub der Worte “vor allem” eine weitere offene Flanke hinzu: Gilt etwa ein Alles-oder-nichts-Prinzip in der Form, dass es zu einer alleinigen Zuordnung zur überwiegenden Sphäre kommen muss, oder kann es auch zur Aufteilung der Leistung in einen von der Gesellschaft zu tragenden und einen vom Aktionär zu kompensierenden Teil kommen?Nur das zweite Modell führt zu einem angemessenen Ausgleich von Kapitalerhaltungsprinzip einerseits und größtmöglichem Handlungsspielraum für die Unternehmensorgane andererseits. Es ist auch praktikabel, wenn die Leistungsteile einzeln finanziell bewertbar sind. Liegt eine Leistung an den Aktionär in dessen Sphäre vor, kommt nach dem BGH – in einer dritten Stufe – eine Rechtfertigung nur dann in Betracht, wenn der Gesellschaft “konkrete, bilanziell messbare Vorteile” zugehen. Aus dem durch das MoMiG eingefügten § 57 Abs. 1 Satz 3 AktG und der dort kodifizierten “bilanziellen Betrachtungsweise” folge, so der BGH und schärfer als die Vorinstanz sowie die vorwiegende Meinung, dass “nicht bezifferbare Vorteile” außer Betracht zu bleiben haben.Der Verweis auf “bilanziell messbare Vorteile” ist indes nur eine Abbreviatur für das Erfordernis, dass zur Rechtfertigung einer Leistungsgewährung keine unspezifischen und finanziell nicht bestimmbaren Interessen der Gesellschaft ausreichen, sondern es sich um solche Vorteile handeln muss, die ihren Niederschlag auch in der Rechnungslegung der Gesellschaft (also auch in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung) finden könnten. Hierzu gehören nach der BilMoG-Reform des HGB (Stichwort: aktive latente Steuern) auch solche, die sich auf die zukünftige Ertragsfähigkeit der Gesellschaft auswirken können.Für ein solches weites Verständnis spricht der Umstand, dass der BGH selbst davon ausgeht, dass die Abgabe einer Freistellungserklärung als Ausgleich der Leistung ausreichen könnte, eine solche Erklärung bei der Gesellschaft aber gar nicht bilanziert worden wäre; erst im Haftungsfall hätte eine Forderung aktiviert werden können. Schließlich fordert das Gericht zwar “konkrete”, aber zu Recht weder zeitlich noch sachlich “unmittelbar” zufließende Vorteile. Kein RechtshindernisBei einem solchen Verständnis der BGH-Entscheidung müsste § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht als Rechtshindernis für viele bislang gängige Praktiken im Transaktions- und Kapitalmarktgeschäft angesehen werden: So liegt bei Aktienplatzierungen, bei denen ein erheblicher Teil neuer Aktien aus einer Kapitalerhöhung angeboten wird, die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos im primären Interessenbereich der Gesellschaft. Transaktionskosten können weiterhin entsprechend den jeweiligen Interessenbereichen aufgeteilt werden.Bei der Gewährung von marktgerechten Sub-Underwriting- oder Backstop-Prämien im Zuge von Kapitalerhöhungen zur Absicherung von Marktrisiken der Gesellschaft fehlt es bereits an einer auf der Gesellschafterstellung beruhenden Leistung; die Leistung stellt vielmehr eine Drittdienstleistung anstelle von Banken dar. Allerdings müssen nach dem aktuellen Urteil die im Einzelfall der Gesellschaft zuzuordnenden, finanziell zu bestimmenden Vorteile nun noch genauer analysiert und dokumentiert werden.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner im Hamburger Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer LLP sowie Honorarprofessor an der Bucerius Law School in Hamburg.