RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: JÖRG BAUMGARTNER UND MARKUS KAULARTZ

"Zeitenwende im deutschen Wertpapierrecht"

Digitalisierung von Anleihen und Fondsanteilen - Aktien sollten zeitnah folgen

"Zeitenwende im deutschen Wertpapierrecht"

Herr Baumgartner, Herr Kaulartz, die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpG-E) vorgelegt. Was sind die Kernpunkte?Baumgartner: Der Entwurf stellt eine Zeitenwende im deutschen Wertpapierrecht dar. Er schafft elektronische Wertpapiere und erlaubt dafür sogar die Nutzung von Blockchains. Statt der noch üblichen Verbriefung in einer physischen Urkunde werden künftig Inhaberschuldverschreibungen in ein zentrales elektronisches Wertpapierregister eingetragen; im Falle der ebenfalls neu eingeführten Kryptowertpapiere, die auf der Blockchain-Technologie basieren und teilweise auch als Security Token bekannt sind, in ein Kryptowertpapierregister. Abgeschafft werden die Papierurkunden aber nicht. Elektronische Wertpapiere sollen eine weitere Möglichkeit der Begebung darstellen. Bereits emittierte Wertpapiere können in die elektronische Form überführt werden, müssen dies aber nicht. Neuemissionen können entweder wie bisher als Papierurkunden oder aber in elektronischer Form erfolgen. Welche Änderungen gibt es im Vergleich zum Referentenentwurf vom Sommer?Baumgartner: Während der Referentenentwurf die Schaffung elektronischer Wertpapiere nur für Inhaberschuldverschreibungen, also Anleihen, vorsah, enthält der Regierungsentwurf die Möglichkeit der elektronischen Begebung von Fondsanteilen. Damit wird auch im Investmentrecht die Entmaterialisierung der Anteilscheine eingeläutet. Daneben enthält der Regierungsentwurf einige redaktionelle Überarbeitungen. Warum bleiben Aktien bei der Digitalisierung außen vor?Kaulartz: Elektronische Aktien sind im aktuellen Entwurf nicht vorgesehen, was daran liegt, dass die Digitalisierung von Aktien komplex ist. Zwar könnte man die wertpapierrechtlichen Voraussetzungen einfach durch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des eWpG-E erreichen. Noch nicht gelöst wären damit aber zahlreiche aktienspezifische Folgefragen, wie etwa bei der Gründung der Gesellschaft, der Einberufung der Hauptversammlung oder bei der Ausgabe der Aktien und deren Übertragung an den internationalen Kapitalmärkten. Dazu müssen das Aktiengesetz und weitere Gesetze umfangreich geändert werden. Es ist trotzdem richtig, das elektronische Wertpapier erst im kleinen Rahmen einzuführen und Erfahrungen zu sammeln, bevor es in einem zweiten Schritt bei Aktien eingeführt wird. Das wird zweifellos kommen, die Frage ist nur, wann. Trägt das Gesetz zum Bürokratieabbau bei?Baumgartner: Ja, denn es kann zum Beispiel die Ausstellung einer Papierurkunde und Hinterlegung in Form einer Globalurkunde bei einem Zentralverwahrer – in Deutschland ist dies nur die Clearstream Banking AG – entfallen. Stattdessen dürfen die Register aller Depotbanken als Verwahrer geführt werden. Bei Kryptowertpapieren können, neben Dienstleistern, sogar die Emittenten selbst als registerführende Stelle agieren. Dadurch dürfte der administrative Aufwand deutlich geringer ausfallen. Machen die Regelungen den Finanzstandort Deutschland attraktiver?Kaulartz: Auf jeden Fall. Die digitale Emission von Wertpapieren ist in anderen Ländern schon länger Standard. Deutschland hinkte mit der Pflicht, Wertpapiere in Papierform begeben zu müssen, der Digitalisierung hinterher. Daneben ist die Einführung der Kryptowertpapiere ein starkes Signal des Gesetzgebers, den Blockchain-Standort Deutschland weiterhin attraktiv zu halten. Der gesetzgeberische Wettbewerb ist stark – Länder wie Liechtenstein, Malta und die Schweiz sind schon weiter und haben bereits entsprechende Regelungen. Wo gibt es Nachbesserungsbedarf?Kaulartz: Neben einigen offenen juristischen Fragen, beispielsweise rund um den gutgläubigen Erwerb bei elektronischen Wertpapieren, sollte das neue Gesetz zeitnah auf Aktien erweitert werden. Von den vielen vorgesehenen Verordnungsermächtigungen muss zügig Gebrauch gemacht werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Darüber hinaus ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert, wie Security Token generell rechtlich einzuordnen sind. Jörg Baumgartner und Dr. Markus Kaulartz sind Rechtsanwälte der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS. Die Fragen stellte Helmut Kipp.